Delegation aus Namibia zu Gast in Niedersachsen
Namibias Bildungsministerium besucht Einrichtungen für Sinnesgeschädigte auf Einladung des Niedersächischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie
Zur Delegation aus Namibia gehörte auch Frau Heide Beinhauer, Hörgeschädigten- und Sprachheilpädagogin sowie Geschäftsführerin der Wohltätigkeitsorganisation CLaSH (The Association for Children with Language, Speech and Hearing Impairments of Namibia, siehe: www.clash-namibia.org), die diese Bildungsreise im Rahmen eines Moratoriums mit dem Bildungsministerium initiiert hatte: Vorhandene Bildungsangebote für Hörgeschädigte in Namibia sollen zukunftsfähig mit einer ganzheitlichen Perspektive weiter entwickelt werden, vor allem im Hinblick auf Früherkennung, Früherziehung und schulische sowie berufliche Bildung.
Niedersachsen und das LS als Trägerbehörde der niedersächsischen Landesbildungszentren für Hörgeschädigte (LBZH) und Blinde waren über Barbara von Koenen in den Fokus gerückt: nach der Ertaubung ihres Sohnes Benedikt hatte sie CLaSH 1989 mit gegründet. Inzwischen lebt sie seit vielen Jahren im niedersächsischen Oldenburg. Auf deutscher Seite unterstützte zudem Gerhard Beinhauer die Aktivitäten von CLaSH bzw. die Organisation der Reise.
Die einwöchige Bildungsreise bot der Besuchsdelegation ein komprimiertes und anspruchsvolles Programm:
- Fachkräfte der LBZH in Oldenburg (federführend: Marco Noël) und Osnabrück (federführend: Elisabeth Boymann) präsentierten ihre Arbeit mit viel Begeisterung: Beratungszentren für Pädagogische Audiologie, Frühförderung Hören, Kindergärten für Hörgeschädigte, Mobile Dienste, schulische Angebote von der Primarstufe bis zur beruflichen Bildung, Ausbildung, Wohnangebote und Fahrdienste. Es kam zu Gesprächen mit Schüler*innen (z. T. in Englisch) über die geographische Lage und die Tierwelt Namibias, über beruflichen Vorstellungen der deutschen im Vergleich zu den Möglichkeiten der namibischen Schüler*innen. Die sehr unterschiedlichen Bedingungen für Hörgeschädigte in Deutschland und Namibia überraschten viele Schüler*innen. Christian Armborst begrüßte als Präsident des Landesamtes die Delegation bei der Station in Osnabrück.
- Das Evangelische Krankenhaus Oldenburg (Medizinischer Campus Universität Oldenburg, Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie) kooperiert seit Jahrzehnten eng interdisziplinär mit dem LBZH Oldenburg - auch bei der hörtechnischen Erstanpassung hörgeschädigter Kleinkinder in der Klinik. Dr. Rüdiger Schönfeld und sein Team gaben Einblicke in aktuelle medizinisch-technische Verfahren: Neugeborenen-Hörscreening bei einem zwei Tage alten Baby, Spielaudiometrie und graduelle Hörgeräte-Anpassung bei einem 2 Jahre alten Jungen mit Charge-Syndrom, BERA-Messung bei einem Patienten, Cochlea-Implantat-Anpassung bei einer Patientin.
- Als Teil des "Auditory Valley" (Oldenburg-Hannover) präsentierte das Hörzentrum Oldenburg Highlights hörtechnischer Forschung: Stefan Wetzel unternahm mit den Gästen eine kleine Reise durch Projekte des Hörzentrums und anschließend einen Rundgang durch den Hörgärten. Die Ergebnisse dieser audiotechnischen Arbeit dienen als Basis für eine qualitativ hochwertigen Rehabilitation hörgeschädigter Menschen weltweit.
- Die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover ist Standort für das Bildungszentrum Hören-Sehen-Kommunikation für Taubblinde. Tanja Geck stellte als stellvertretende Direktorin die Angebote der Einrichtung vor: so können taubblinde und hörsehbehinderte Kinder und Jugendliche leben und lernen. Sandra Runge-Fleischer zeigte die Räumlichkeiten für Beratungsgespräche und erläuterte Testverfahren / Materialien zur Überprüfung der auditiven und visuellen Wahrnehmung. Besonders beeindruckt waren die Besucher vom taubblinden Schüler Lukas, der über eine Braillezeile am Computer im Internet surfen oder Kurznachrichten auf seinem Mobiltelefon senden und lesen kann. Frau Nakashole nutzte diese Technik für ein kurzes Gespräch mit ihm – auf Englisch. Leopoldine Nakashole wurde hier auch von Dirk Schröder (Abteilungsleiter im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung) begrüßt. Die Einrichtung berichtet über den Besuch auf ihrer Internetseite.
- Burchard Führer begrüßte als Honorarkonsul Namibias (für Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen) Leopoldine Nakashole und ihre Gruppe in seinen Räumen: "Es ist eine große Ehre, dass Sie uns besuchen". (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 15.11.2018).
- Einen weiteren Höhepunkt lieferte die Hamburger Firma „Lufthansa Technik“: Dort werden Hörgeschädigte mit guten Erfolgen ausbildet und beschäftigt. Thomas Erich (Lufthansa Technik): „Für uns ist die Hörschädigung kein Thema, das sind Kolleg*innen wie alle anderen auch!“ Diesem Prinzip folgend, übernahmen nach einer Einleitung durch Ausbilder und Meister die hörgeschädigten Mitarbeiter selbst die weitere Führung durch das Gelände - drei von ihnen haben früher ein LBZH in Niedersachsen besucht. Die Unterstützung der für die Firma tätigen Gebärdensprachdolmetscherin war nur sporadisch nötig. Bessere Belege für eine erfolgreiche Teilhabe von Mitarbeiter*innen mit Hörschädigungen/Gehörlosigkeit am Arbeitsleben kann es nicht geben! Lufthansa Technik wirbt angesichts der sehr guten Erfahrungen zielgerichtet in Förderschulen Hören um Schüler, ganz besonders um Schülerinnen für die Ausbildung! (Hierzu wurde ein spezieller Werbefilm von Lufthansa Technik vorgeführt, der auch Internet angesehen werden kann.
- Das Institut für Deutsche Gebärdensprache (Universität Hamburg, federführend: Prof. Dr. Annika Herrmann) stellte sonderpädagogische Studiengänge vor, die Forschung zur Gebärdensprachlinguistik und die Ausbildung von Gebärdensprachdolmetscher*innen. Frau Nakashole war beeindruckt von der Begegnung mit gehörlosen, gebärdenden Universitätsdozent*innen, besonders von der Leistung ihrer Dolmetscherinnen, die problemlos von der DGS ins Englische übersetzten.
- Die Evangelische Stiftung Alsterdorf in Hamburg (federführend: Karen Haubenreisser) präsentierte ihr großes Gelände, ihre Geschichte, das preisgekrönte inklusive Bildungshaus Lurup, Tagesbetreuung und Werkstätten für erwachsene Menschen mit Hilfebedarfen in den Bereichen Kognition und Verhalten, die Bugenhagenschule und die große barrierefreienSporthalle. Abschließend wurden Möglichkeiten unterstützter Kommunikation vorgestellt.
- Zum Abschluss in Hamburg kam es zu einem intensiven Austausch mit erwachsenen Gehörlosen und Schwerhörigen: Benedikt von Koenen (Barbara von Koenens Sohn, s.o.) und ein weiterer hörgeschädigter Kollege (beide sind Flugzeugmechaniker bei Lufthansa Technik, letzterer zudem Behindertenbeauftragter), eine Kindergartenerzieherin, ein technischer Zeichner, der Leiter eines Pflegedienstes für Menschen mit hohem Assistenzbedarf. Die Palette der Themen an diesem Abend war groß: Kindheit, Schulzeit, Ausbildung und Beruf, Laut- und Gebärdensprache, Ehe, Familie, hörende Kinder etc.
Voller Eindrücke kehrten Leopoldine Nakashole und Heide Beinhauer nach Namibia zurück. Auch wenn einiges für sie überwältigend war, so sind beide in ersten Rückmeldungen optimistisch, dass Namibia eines Tages ein vergleichbares Angebot erreichen kann wie Niedersachsen. Für das engagierte Personal der beteiligten Einrichtungen in Niedersachsen und Hamburg gilt im Resümee aber auch, dass das Programm dieser Besuchswoche zeigt, wie qualitativ hochwertig die Leistungsangebote aufgestellt sind: frühe Erfassung, anschließende frühe fachpädagogische Förderung, qualitativ gut ausgebildetes Personal und differenzierte schulische sowie berufliche Angebote. Wenn Pädagogik mit Begeisterung und Leidenschaft Kindern eine gute Kommunikationsentwicklung ermöglicht, gelingt auch ein umfassender Bildungserwerb sowie eine Persönlichkeitsbildung im Sinne von „Empowerment“. Auf dieser Basis kann ein Maß an Teilhabe und Selbstbewusstsein entstehen, wie es die Delegation aus Namibia in Norddeutschland erleben konnte.
„Es macht uns stolz, dass die hohen Standards der fachpädagogischen Arbeit in Niedersachsen nicht nur von den Sinnesgeschädigten in unserer Region wertgeschätzt wird, sondern auch über die Landesgrenzen hinaus Anerkennung finden“, freute sich Michael Haase, Pressesprecher beim Landessozialamt. „Differenzierte sowie individualisierte Angebote für Sinnesgeschädigte mit einer systematisierten Früherkennung sind unser Schlüssel zum Erfolg. Hierzu gehört ein steter interdisziplinärer Dialog mit allen Beteiligten bzw. Verantwortlichen im Land, um gute Lösungen zu finden. Und dies gerne über die niedersächsischen Grenzen hinaus!“ ergänzte Manfred Flöther, der im Landessozialamt die fachlichen Fäden zusammenhält und die Studienreise vorbereitete und eng begleitete.
Einige Eindrücke von der Bildungsreise der Delegation aus Namibia nach Niedersachsen und Hamburg im November 2018