Rechtliche Vertretung im Kontext der vorläufigen Inobhutnahme und der Altersfeststellung – Beschluss des VGH Mannheim vom 09.04.2024 – 12 S 77/24
Der VGH Mannheim hat sich in seinem Beschluss mit der Vertretungssituation von unbegleiteten minderjährigen Ausländern während der vorläufigen Inobhutnahme und der Alterseinschätzung auseinandergesetzt und dabei festgestellt, dass das Notvertretungsrecht gem. § 42a Abs.3 SGB VIII nicht den Vorgaben des Art. 24 RL 2013/33/EU (sog. Aufnahmerichtlinie) entspricht. Art. 24 Abs.1 RL 2013/33/EU verlangt, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen, einem unbegleiteten Minderjährigen so bald wie möglich einen Vertreter zu bestellen, der ihn vertritt und unterstützt, damit jener die Rechte aus der Aufnahmerichtlinie in Anspruch nehmen und den sich hieraus ergebenden Pflichten nachkommen kann.
Der Senat des VGH Mannheim ist der Auffassung, dass Art. 24 RL 2013/33/EU nicht ausreichend in deutsches Recht umgesetzt worden sei, sodass die Regelung unmittelbare Anwendung finde und stets ein Vertreter i.S.d. Art. 24 Abs.1 RL 2013/33/EU für den jungen Menschen zu bestellen sei. Der Anwendungsbereich der Aufnahmerichtlinie sei bereits dann eröffnet, wenn der junge Mensch um Asyl nachsuche. Dadurch bringe er zum Ausdruck, dass er internationalen Schutz i.S.d. Art. 2 lit.a RL 2013/33/EU i.V.m. Art. 2 lit.h RL 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie) beantrage, da er – ohne, dass es auf die Formalitäten ankomme – zu erkennen gegeben habe, dass er internationalen Schutz begehre. Darüber hinaus sei ein drittstaatsangehöriger Person, die um internationalen Schutz nachsuche, dann ein Vertreter i.S.d Art. 24 Abs.1 RL 2013/33/EU zu bestellen, wenn diese vertretbar behaupte, minderjährig zu sein. Die Folge einer fehlenden Bestellung eines Vertreters i.S.d. Art. 24 RL 2013/33 EU sei ein beachtlicher Verfahrensfehler, der voraussichtlich zur Rechtswidrigkeit eines Bescheides führe und der Aufhebung im gerichtlichen Verfahren unterliege.
An einen Vertreter i.S.d. Art. 24 Abs.1 RL 2013/33/EU stellt das VGH Mannheim gewissen Anforderungen. Danach sei Vertreter i.S.d. Art. 24 Abs.1 RL 2013/33/EU eine Person, die Grundkenntnisse in Bezug auf die Aufnahmerichtlinie und des dazugehörigen Verfahrensrechts habe, über die Möglichkeit der Familienzusammenführung informiert sei und Kenntnisse in Bezug auf (Schutz-)Bedürfnisse und Entwicklungspsychologie eines unbegleiteten Minderjährigen habe und zu einer ggf. kindgerechten Kommunikation in der Lage sei.
Seine Rechtsprechung hat der VGH Mannheim mehrfach bestätigt (vgl. Beschluss vom 05.06.2024 – 12 S 1649/23 sowie Beschluss vom 11.06.2024 – 12 S 1700/23).