Fachtagung „Inklusion: Vision oder Mogelpackung?“ am 30.11.2011 in der Universität Oldenburg
Podiumsdiskussion
Während der von Dipl. med. Astrid Gäde (Gesundheitsamt Wilhelmshaven, Leiterin des Arbeitskreises Weser-Ems) und Manfred Flöther (Landessozialamt) moderierten Podiumsdiskussion wurden – auch anhand des von Dr. Janßen vorgestellten Beispiels seiner Tochter – vor allem Fragen der Inklusion in der Schule erörtert, zumal für Niedersachsen auch eine Novellierung des Schulgesetzes vorgesehen ist.
Der Faktor Mensch und der Paradigmenwechsel
Der „Faktor Mensch“ spielt dabei eine wesentliche Rolle: Nicht nur die von Behinderung betroffenen Menschen selbst, sondern vor allem auch die Personen der Umgebung, die Mitmenschen, müssen dazu beitragen, dass der notwendige Paradigmenwechsel stattfinden kann. Hierfür sind Bausteine, Module zur Professionalisierung aller Beteiligten erforderlich, der auch die Hochschulen durch Veränderungen in der Didaktik Rechnung tragen müssen. Als sinnvolles Instrument wurde wiederholt die ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) erwähnt, die die traditionelle defizitorientierte Sichtweise durch einen Blick auf die Ressourcen, eines Menschen entscheidend verändert (Schulze, Gäde, Flöther). Sie ermöglicht eine bessere Verbindung zwischen Pädagogik und Medizin – wobei nicht nur einseitig auf die Stärken, sondern immer auch auf die Barrieren geblickt werden muss. Herr Finke betonte noch einmal, dass immer auch die Betroffenen selbst (bzw. bei Kinder deren Eltern) in Entscheidungsprozesse einzubinden sind. So seien z. B. durch Elterninitiativen Integrationsmaßnahmen oder Ganztagsbetreuungen in Schulen durchgesetzt worden.
Inklusion: Revolution von oben – Chance oder Illusion?
Podium und Plenum der Veranstaltung stellten immer wieder heraus, dass eine erfolgreiche Inklusion mit (höheren) Kosten verbunden sein wird. Dennoch betonten die Praktiker, dass man nicht auf die Budgetzuweisung warten dürfe, sondern auch bei ungünstigen Bedingungen neue Wege beschreiten müsse (Cornelius). Hierdurch können die aktuell als „Revolution von oben“ empfundene Inklusionsbewegung als Chance genutzt werden statt zur Illusion zu werden. Vor diesem Hintergrund müsse es zunächst beide System parallel geben, der Elternwille dürfe dabei nicht ignoriert werden. Da es immer auch Kinder mit speziellen Bedarfen geben wird, sollte es für sie auch die Möglichkeit geben, Schonräume zu nutzen – zumindest temporär (Rohling, Möhle). Letztlich geht es um die Frage: Wie will ich das System Schule organisieren, damit schulisches Lernen, die Lerneinstellung, das Leben darin funktioniert? (Finke). In diesem Zusammenhang wurde auf die Stellungnahme der „Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin“ hingewiesen, die einige wichtige Forderungen zusammengefasst hatte. Die Präsentation dieser Forderungen finden Sie hier .
Vernetzung inklusiv denkender Menschen
Es wurde deutlich, dass sich besonders Lehrkräfte an Regelschulen durch die neuen Aufgaben stark belastet sehen. Sie benötigen einen regelmäßigen Kompetenztransfer durch versierte Fachleute. Eine inklusive Gesellschaft benötigt gemeinsame Überlegungen der Kostenträger und der Professionellen. Durch interdisziplinäre Hilfeplangespräche, aktive Beteiligungen der Eltern bzw. die „Vernetzung inklusiv denkender Menschen“ (Schulze) können vorhandene Möglichkeiten besser eingeschätzt werden; bei Übergängen und Schnittstellen können Abläufe optimiert werden, so dass weitgehende Teilhabe stattfinden kann. Wenn Inklusion gelingen soll, sollte sie gute Bedingungen haben – eine schlechte Inklusion ist eher eine gute Exklusion. Hierfür seien z. B. kleine Lerngruppen, individuelle Fördermaßnahmen (Förderstunden), aber auch die enge Kooperation zwischen Schule und Jugendgesundheitsdienst anzustreben (Rohling, Gäde).
Fachspezifisches Wissen pflegen und weitergeben!
Die besondere Belastung vor allem der Kinder mit Handicaps darf bei inklusiven Prozessen nicht vergessen werden (Janßen). Kritisch wurde die Tendenz betrachtet, durch Integrationshelfer oder Assistenzkräfte in Schulen Inklusion zu ermöglichen. Stigmatisierungseffekte für die Kinder seien nicht auszuschließen, zudem käme es hierdurch zu einer Verschiebung der Kosten auf andere Träger. Für professionelle Hilfe braucht man gut ausgebildete Fachleute. Bei Integrationshelfern fehlen oft fachliche Grundvoraussetzungen – statt ihrer sollten gut ausgebildete Spezialisten eingesetzt werden. Das können Lehrkräfte mit zusätzlichen Qualifikationen sein, aber auch Therapeuten für besondere Bedarfe. Der Paradigmenwechsel braucht im Schulsystem auch keine Abschlüsse mehr für ein „Lehramt an Sonderschulen“, sondern für ein „Lehramt für Sonderpädagogik“ (Schulze). Unabhängig davon sind allerdings Stätten notwendig, an denen fachspezifisches Wissen und Erfahrung tradiert werden: gerade für besondere Handicaps muss diese Kompetenz erhalten und weiterentwickelt werden.
Fachtagung 2011 - Inklusion - Programm
(0,33 MB)
Fachtagung 2011 - Inklusion - Vortrag Landessozialamt
(2,49 MB)
Fachtagung 2011 - Inklusion - Fragen
(2,33 MB)
Fachtagung 2011 - Inklusion - Diskussion
(0,08 MB)
Fachtagung 2011 - Inklusion - Präsentation de Boer
(0,46 MB)