Lügde-Kommission
Am 16.12.2020 hat Justizministerin Barbara Havliza gemeinsam mit Dr. Thomas Meysen den Abschlussbericht der sog. Lügde-Kommission vorgestellt. Das Niedersächsische Landesjugendamt war ebenfalls Mitglied in der Kommission und hat an der Erarbeitung des Abschlussberichtes mitgewirkt. Der Abschlussbericht ist auf der Internetseite der Kommission unter diesem Link abrufbar: www.luegdekommission-nds.de
Nach Bekanntwerden des hundertfachen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen auf einem Campingplatz im nordrhein-westfälischen Lügde-Elbrinxen hatten auch im niedersächsischen Landtag lebhafte Diskussionen eingesetzt. In Niedersachsen stand vor allem das vom Jugendamt des Landkreises Hameln-Pyrmont gebilligte Pflegeverhältnis für ein kleines Mädchen bei dem pädokriminellen Haupttäter im Fokus. Aus diesem Grund wurde bei dem Niedersächsischen Landespräventionsrat eine Kommission eingesetzt, die untersuchen sollte, welche Strukturen der Fall aufgezeigt hat, die zum Schutz von Kindern verbessert werden müssen. Die Kommission hat sich in ihrer Arbeit nicht auf Empfehlungen für die Jugendämter beschränkt, sondern auch andere Institutionen an der Schnittstelle zum Jugendamt im Auge gehabt.
Justizministein Havliza: „Kinderschutz kann man gar nicht wichtig genug nehmen. Wir können und dürfen es uns nicht leisten, gefährdete Kinder aus dem Blick zu verlieren. Wir brauchen gute Konzepte zur Prävention und das Bewusstsein, dass sexualisierte Gewalt wirklich in allen Teilen der Gesellschaft vorkommt. Die Vorfälle in Lügde, Bergisch-Gladbach, Staufen und Münster zeigen: Wir müssen besser werden bei der Risiko- und Gefährdungseinschätzung für Kinder und Jugendliche. Wir müssen schließlich auch besser werden, Täterstrategien zu durchschauen, sie zu durchbrechen und Taten aufzudecken.“
Die Lügde-Kommission ist durch das Institut SOCLES aus Heidelberg und Dr. Thomas Meysen als Leiter wissenschaftlich begleitet worden. Sie hat in mehr als 15 Sitzungen Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Fachpraxis gehört, ist mit der Mutter des Kindes, mit psychosozialen Prozessbegleitern und mit niedersächsischen Jugendämtern ins Gespräch gegangen. Bei der Analyse des Falls hat die Lügde- Kommission an den Bericht der Sonderermittlerin Christa Frenzel anknüpfen können. Der Frenzel-Bericht war vom niedersächsischen Innenministerium und dem Landkreis Hameln-Pyrmont in Auftrag gegeben worden. Er hatte aus Sicht der Kommunalaufsicht die Frage zu klären, ob der Landkreis Hameln-Pyrmont rechtskonform bzw. rechtswidrig gehandelt hat.
Die Kommission hat 44 Empfehlungen an die Landesregierung und die Fachpraxis formuliert. Sie fordert eine Qualitätsoffensive: Die Einschätzung, ob ein Kind gefährdet ist oder nicht, ist eine der anspruchsvollsten im Jugendamt und im Kinderschutz überhaupt. Hierfür braucht es Verfahren, die ermöglichen, Kinder und Jugendliche zuverlässig zu beteiligen, bisherige Bewertungen fortlaufend zu hinterfragen und spezialisierten Sachverstand einzubeziehen, der im konkreten Fall benötigt wird. Damit das in der Praxis funktioniert, sollen die Teamleitungen in den Sozialen Diensten der Jugendämter in ihrer Rolle als Fachaufsicht gestärkt werden. Außerdem fordert die Kommission Schutzkonzepte bei einer Unterbringung in Pflegefamilien und Verbesserungen in der Arbeit mit Herkunftsfamilien. Sie empfiehlt nachdrücklich, im Kinderschutz Fortbildungen für alle strukturell verlässlich zu sichern und die fallübergreifende Zusammenarbeit zwischen Kinder- und Jugendhilfe, Polizei, Familien- und Strafgerichtsbarkeit flächendeckend zu institutionalisieren. Fehlgeschlagene Kinderschutzverläufe wie derjenige in Lügde sollen zukünftig eine partizipative wissenschaftliche Aufarbeitung erfahren, um hieraus lernen zu können.
Dr. Meysen: „Fälle wie derjenige in Lügde machen deutlich: Jugendämter sind für Kinder lebenswichtig – auch in Zeiten von Corona. Kinderschutz ist lebenswichtig. Wir brauchen daher eine unstillbare Sehnsucht, im Kinderschutz stetig besser zu werden. Wir brauchen ein entschiedenes Interesse für die Qualität unserer Arbeit. Und ganz wichtig: Fachkräfte in Jugendämtern, bei der Polizei, in der Familien- und Strafgerichtsbarkeit müssen Profis sein für Gespräche mit Kindern und Jugendlichen – alle.“
Havliza: „Wir nehmen diese Empfehlungen sehr ernst und sollten zügig damit beginnen, diese – soweit noch nicht geschehen – umzusetzen. Die Kommunen werden dies hoffentlich genauso tun. Die neue Enquetekommission, die am 14.12.2020 ihre konstituierende Sitzung hatte, wird gewiss weitere Punkte ergänzen und auf den Weg bringen.“