Fachtagung "Interdisziplinäre Komplexleistung - Gegenwart und Zukunft" am 25.11.2014 an der Universität Oldenburg
Die 7. Jahrestagung des Teams Fachberatung „Hören und Sprache / Allgemeinpädagogischer Dienst des Landesarztes“ im Landessozialamt, des Arbeitskreises Weser-Ems der kinder- und jugendärztlichen Dienste in den Gesundheitsämtern und des Instituts für Sonder- und Rehabilitationspädagogik der Universität Oldenburg fand wieder einmal regen Zuspruch. Am 25.11.2014 kamen über 120 Fachleute aus ganz Niedersachsen zum jährlichen Austausch über Hilfen für Kinder mit Handicaps zusammen. Interdisziplinär war nicht nur das Thema, sondern auch der Kreis der Gäste: Ärzte, Therapeuten, Fachpädagogen, Psychologen, Verwaltungsfachkräfte aus Behörden des Landes und der Kommunen.
„Wie gelingt Frühförderung für Kinder mit Beeinträchtigungen am besten?“ Dieser Frage gingen Vortragende und Gäste mit viel Engagement und kritischer Würdigung nach. Im Fokus stand diesmal die Arbeit der interdisziplinären Frühförderstellen (IFF), die im Rahmen einer „Komplexleistung“ arbeiten. Das heißt: Sozialämter und Krankenkassen finanzieren diese Arbeit gemeinsam – im Unterschied zu einer parallelen Finanzierung.
Detlef Hacker (Arbeiterwohlfahrt Weser-Ems) stellte aus seiner Sicht als Mitglied bei den Vertragsverhandlungen auf Landesebene die rechtlichen Hintergründe von der Bundesgesetzgebung bis zur Umsetzung auf Landesebene dar. Grundidee der IFF ist: heilpädagogische Frühförderung und medizinisch-therapeutische Leistungen (Heilmittel) werden gemeinsam unter Federführung der IFF erbracht. Er verwies darauf, dass der Paritätische Landesverband die Landesrahmenempfehlung für die IFF nicht unterzeichnet hat und der Caritasverband Anfang 2014 diese Vereinbarung gekündigt hat. Die Folien seines Vortrags finden Sie hier .
In Niedersachsen existieren aktuell nur drei Frühförderstellen, die die Komplexleistung IFF auf der Basis einer Bundesverordnung aus dem Jahre 2003 erbringen – im Vergleich dazu führen über 90 Einrichtungen Frühförderung auf der traditionellen Basis als reine heilpädagogische ambulante Maßnahme durch, die durch das örtliche Sozialamt finanziert wird. Alle drei IFFs liegen in der Region Weser-Ems (in den Landkreisen Leer und Wesermarsch und in der Stadt Osnabrück) und waren nach Oldenburg gekommen, um ihre Arbeit vorzustellen. Dabei zeigten sich Unterschiede und Besonderheiten:
Das IFF Leer als älteste IFF wurde von Dorothea Renken und Ursula Horst (Arbeiterwohlfahrt Weser-Ems) vorgestellt. Als besondere Herausforderung wurde die Betreuung der Kinder auf der Insel Borkum dargestellt. Es gibt eine Fülle von Vertragspartnern, mit denen die Leistung gemeinsam erbracht wird. Ihre Folien finden Sie hier .
Dr. Frank Meya (Landkreis Wesermarsch) stellte die Arbeit der IFF Wesermarsch (in der Trägerschaft des CVJM-Sozialwerks) vor. Er verwies auf die Vorteile seiner Einbindung als Kinderarzt des öffentlichen Gesundheitsdienstes in die Arbeit der IFF, forderte allerdings dezidiert Nachbesserung für einige Schwachstellen. So sei für Kinder mit umfassenden Beeinträchtigungen eine Finanzierung über die Pauschalen nur bedingt möglich. Angesichts der Änderungen in der Heilmittelversorgung für umfassende Störungsbilder forderte er eine analoge Anpassung für die Komplexleistung IFF. Sein Vortrag kann hier herunter geladen werden.
Das Team Mohr bietet als niedergelassene Praxis eine IFF für die Stadt Osnabrück an. Maria Mohr und Steffi Trittin schilderten ihre enge Kooperation mit den niedergelassenen Kinderarztpraxen und die vertragliche Besonderheit, dass die Stadt Osnabrück (die die Landesempfehlung nicht akzeptiert hat) keine Pauschalen zahlt, sondern lediglich die einzeln erbrachten Leistungen vergütet. Ihre Vortragsfolien finden Sie hier .
Trotz unterschiedlicher Bedingungen waren alle überzeugt von den Vorteilen ihrer Arbeit: Eltern erhalten eine effektive Leistung aus einer Hand, das interdisziplinäre Angebot entspricht aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Diese brachte Juniorprofessorin Dr. Britta Gebhard in die Tagung ein: sowohl im Einführungsvortrag als auch bei der abschließenden Podiumsdiskussion forderte sie „Transdisziplinarität“ als Qualität in der Zusammenarbeit der Fachleute. Dies sei gerade auch bei der Schaffung von Inklusion ein wichtiger Baustein: gemeinsames Planen und Handeln aller Personen im Team, damit den Kindern ein Höchstmaß von Teilhabe ermöglicht wird, wie es auch Werner Welp (Landessozialamt) und Detlef Hacker (AWO Weser-Ems) in ihren Beiträgen forderten. Die Folien von Werner Welp können hier herunter geladen werden.
Aus Sicht der beiden Leistungsträger Sozialhilfe und gesetzliche Krankenversicherung stellten Karin Scheffermann (Landkreis Leer) und Anne-Katrin Grensemann (AOK Niedersachsen) positive Aspekte von Komplexleistungen dar – wünschten sich allerdings auch eine baldige wissenschaftliche Auswertung der bisherigen Arbeit der interdisziplinären Frühförderstellen. Hier finden Sie die Folien von Frau Scheffermann - hier diejenigen von Frau Grensemann. Kurzfristig und spontan referierte Prof. Dr. Andrea Caby (Hochschule Emden und Sozialpädiatrisches Zentrum Papenburg) über die Perspektiven der interdisziplinären Frühförderung auf Bundesebene. Als Bundesvorstandsmitglied der VIFF (Vereinigung für interdisziplinäre Frühförderung) konnte sie aktuelle Tendenzen darstellen.
Die Diskussion mit den Gästen verlief sehr lebhaft, zumal auch viele kritische Stimmen laut wurden. Vor allem aus den Kreisen der heilpädagogischen Frühförderstellen wurde die Komplexleistung als unterfinanziert bewertet. Auch wenn sich die Vertreter der drei interdisziplinären Frühförderstellen finanzielle Verbesserungen wünschten, so konnten sie dieser Kritik nicht zustimmen. Auch Frau Scheffermann bestätigte aus Sicht des Sozialamtes, dass die Komplexleistung eher eine passgenaue Hilfe ermöglicht als die Förderung und Therapie im bisherigen System.
Als Veranstalter zogen das Niedersächsische Landesamt für Soziales, Jugend und Familie, der „Arbeitskreis Weser-Ems der kinder- und jugendärztlichen Dienste in den Gesundheitsämtern“ und das Institut für Sonder- und Rehabilitationspädagogik der Universität Oldenburg ein positives Resümee der Tagung. Auch die Gäste betonten, im nächsten Jahr wieder nach Oldenburg kommen zu wollen. In der Fortsetzung der bisherigen Themen soll es dann besonders um die Mitwirkung von Eltern gehen, deren Kinder einen besonderen Hilfebedarf haben.
Eindrücke von der Jahrestagung 2014