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Kontinuität in der Jugendhilfe – das Ausführungsgesetz zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz

Wie beim derzeitigen SGB VIII ermöglichte auch das 1922 verabschiedete Reichsjugendwohlfahrsgesetz den Ländern die Ausgestaltung bestimmter Regelungsgehalte durch eigene Ausführungsgesetze. In Preußen, dem ja auch die Provinz Hannover angehörte, wurde vom Landtag am 29. März 1924 ein entsprechendes Ausführungsgesetz beschlossen, dass einige noch heute zentrale Strukturen der Jugendhilfe festschrieb (Pr. Gesetzessammlung 1924, Nr. 24, S. 180 ff.).

So stellte der § 2 des PrAG RJWG fest: „Für jede Stadt und jeden Landkreis ist ein Jugendamt zu errichten.“ Grundsätzlich resultieren also die Jugendämter in den damaligen Städten und Landkreisen (die in einigen Fällen heute nicht mehr in dieser Form existieren) aus dieser Zeit. In den Übergangsbestimmungen (§ 33 Abs. 2) war vorgeschrieben, dass die entsprechenden Satzungen bis zum 01. Oktober 1924 zu erlassen waren, ansonsten, so schrieb es das Gesetz vor, würden sie von der Aufsichtsbehörde erlassen.

Bezeichnend auch die noch heute geltende Bestimmung, dass die Aufgabe der Jugendhilfe („der öffentlichen Jugendwohlfahrtspflege“) eine Selbstverwaltungsangelegenheit der Kommunen sind und dass für die Zusammensetzung und das Verfahren der Jugendämter die Satzungen der Gemeindeverfassungen maßgebend sind, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt (§§ 1 und 3).

Besonders bemerkenswert ist dann die Festlegung der Leitung des Jugendamtes. Das RJWG bestimmte ja in seinem § 9, dass „dem Jugendamt“, gemeint ist hier die Leitung desselben neben leitenden Beamten auch „in der Jugendwohlfahrt erfahrende Männer und Frauen“ angehören müssen.

Das Ausführungsgesetz präzisiert diese Bestimmung. So wurde festgelegt, dass zu den leitenden Beamten der Kommune in jedem Fall auch „der leitende Fachbeamte des Jugendamtes“ gehört (heute Jugendamtsleitung), der wie die anderen ein bis vier leitenden Beamten vom Vorstand der Kommune bestimmt werden (§ 4 Abs. 1).

Hinzu kommt die fünffache Zahl, mindestens aber 10 von „in der Jugendwohlfahrt erfahrenen und bewährten Männern und Frauen“.

Zwei Fünftel davon werden von der Kommune ernannt, diese Ernennungen basieren aber auf Vorschlägen der „freien Vereinigungen“ der Jugendwohlfahrt bzw. Jugendbewegung. Dabei ist vorgeschrieben, dass mindestens die doppelte Anzahl an Vorschlägen eingereicht werden müssen, wie es zu besetzende Plätze gibt. Damit wurde der Kommune eine Auswahlmöglichkeit unter den Vorgeschlagenen gegeben. Dabei wurde aber ausdrücklich festgehalten, dass bei der Entscheidung auf die Bedeutung der Träger Rücksicht zu nehmen ist und den Trägern wurde bei Ablehnung ein Beschwerderecht beim Regierungspräsidenten, also der Kommunalaufsichtsbehörde eingeräumt.

Unter den andren drei Fünfteln mussten, so schreibt es der Abs. 3 weiter vor, ein evangelischer und katholischer Geistlicher sowie ein Rabbiner sein, soweit es in dem Jugendamtsbezirk die entsprechenden Gemeinden dieser Bekenntnisse gab. Dies greift den Umstand auf, dass gerade in der Jugendfürsorge traditionell bedingt einen großen Anteil von Angeboten religiöser Träger gab. Hinzu kamen zwei „Lehrpersonen“, wobei das Gesetz ausdrücklich von „Lehrer und Lehrerin“ spricht – heute würde man das Quotierung nennen!

Mit beratender Stimme waren zur Teilnahme an den Sitzungen zudem

  • der Kreisschulrat

  • der Kreismedizinalrat

  • der Gewerberat

  • der Vormundschaftsrichter

berechtigt.

Natürlich hat sich die Zusammensetzung heute verändert und erweitert, und statt eines Vorstandes gibt es heute die Aufteilung in die Verwaltung des Jugendamtes und dem Jugendhilfeausschuss. Bezeichnend und sehr modern war aber die Vorschrift, dass der Vorstand einer Kommunalbehörde ausdrücklich mit Fachpersonen verschiedener Fachrichtungen besetzt wurde. Damit wurde deutlich festgeschrieben, dass es sich beim Jugendamt und der wahrzunehmenden Aufgabe der „Jugendfürsorge“ nicht um eine reine Verwaltungstätigkeit, sondern im Wesentlichen um eine pädagogische Aufgabe mit vielen zu berücksichtigenden Facetten handelte. Dass diese Erkenntnis sich in dieser Form in der Leitungsstruktur niederschlug, ist einmal mehr ein Ausdruck der gesellschaftlichen und sozialen Modernität der Jugendhilfe schon in den zwanziger Jahren.

Die Amtsdauer der Mitglieder des Jugendamtes war nicht an die Wahlperiode geknüpft, sondern galt unabhängig davon für vier Jahre. Ein wenig schimmert dies noch im heutigen § 5 Nds.AG SGB VIII durch, in dem bestimmt ist, dass der JHA seine Geschäfte auch über das Ende der Wahlperiode durchführt, bis sich ein neuer JHA konstituiert hat.

Das RJWG regelte „zur Sicherung einer gleichmäßigen Erfüllung der den Jugendämtern obliegenden Aufgaben und zur Unterstützung ihrer Arbeit“ auch die Errichtung von Landesjugendämtern mit einem im § 13 RJWG aufgeführten Aufgabenkanon. Daher bestimmte der § 13 des Ausführungsgesetzes auch, dass die Provinzialverbände bzw. je nach regionaler Besonderheit in Preußen auch andere Regionalverbände ein Landesjugendamt errichten können (hier war keine Errichtungspflicht vorgegeben). Dabei sollte sich die Zusammensetzung des Vorstandes nach den Bestimmungen für die Jugendämter richten. Zudem war ausdrücklich verfügt, dass in das Landesjugendamt „Vertreter von Jugendämtern und Justizbehörden“ zu berufen sind (§ 13 Abs. 1).

Dass es dann in Niedersachsen bis 1993 vier Landesjugendämter gab, hat seinen Ursprung auch in dieser Bestimmung, da ja zum späteren Land Niedersachsen neben der preußischen Provinz Hannover auch die Länder Oldenburg und Braunschweig gehörten.

Bemerkenswert an diesen Regelung des Preußischen Ausführungsgesetzes zum Reichsjugendwohlfahrtsgesetz sind die Grundstrukturen in der Leitung des Jugendamtes und die besonderen Regelungen innerhalb der ansonsten geltenden kommunalen Selbstverwaltung. Diese wurden ausdrücklich deshalb geschaffen, weil man die „Jugendwohlfahrt und Jugendfürsorge“ als eine besondere, vom üblichen Verwaltungshandeln deutlich abgehobene Aufgabe verstand und dies in den Strukturen der Behörde auch seinen deutlichen Niederschlag finden sollte.

Dass dies bis heute jedenfalls in seinen Grundzügen Bestand hat, trotz Nationalsozialismus, Neuaufbau der Bundesrepublik, Verwaltungsreformen und Wiedervereinigung könnte man dem Beharrungsvermögen öffentlicher Verwaltungsstrukturen anrechnen. Es erscheint aber erheblich wahrscheinlicher, dass die Grundidee des Jugendamtes als „pädagogischer“ Behörde mit einer deshalb abweichenden Behördenstruktur so überzeugend ist, dass sich dieser Aufbau trotz vieler Änderungsversuche bis heute hat halten können.


Dr. Dirk Härdrich



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