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Aus dem Archiv: Der Entwurf eines Jugendwohlfahrtsgesetzes von 1949

Der Rückblick auf frühere Gesetzesentwurfe im Bereich der Jugendhilfe (oder um den zeitgenössischen Begriff zu verwenden, der „Jugendwohlfahrt“) zeigt auf der einen Seite die Veränderungen auf, macht aber auch einige der langdauernden und sich inhaltlich nur wenig veränderten Diskussionslinien und damit die fachliche Kontinuität der Jugendhilfe deutlich.

Im Ersten Jahrgang der Zeitschrift „unsere Jugend“ aus dem Jahr 1949 wird der Entwurf eines neuen Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes vorgestellt. In der ersten Ausgabe vom Januar 1949 schreibt die Mitbegründerin der Zeitschrift, Elisabeth Bamberger unter dem Titel „Jugendnot und Jugendhilfe“ als Geleitwort u.a.: „(Die Aufgaben der Jugendhilfe) sind auf die verschiedensten Behörden verteilt. In der Spitze verteilen sie sich auf 6 bis 7 Ministerien (…), in der unteren Instanz auf die Schulbehörde, das Fürsorgereferat, die Gesundheitsämter, die Vormundschafts- und Jugendgerichte, die Polizei, die Gewerbeaufsicht, das Arbeitsamt…. Es genügt nicht, dass diese in den Ausschüssen des Landesjugendamtes und der Jugendämter vertreten sind. Notwendig ist eine zwingende Vorschrift, daß alle Fragen, die die Jugend betreffen, vor diesem Sachverständigenforum, in der Spitze vor dem bei der Landesbehörde gebildeten Ausschuss beraten werden. Wenn eine zwingende Vorschrift besteht, daß alle Gesetze, Planungen und Einrichtungen, die sich mit Kindern und Jugendlichen beschäftigen, vor diesem Forum behandelt werden müssen, bevor sie den Parlamenten vorgelegt oder durchgeführt werden und daß die dort zum Ausdruck gebrachte Meinung beachtet werden muß, dann würde sich dieses Forum wirklich verantwortlich fühlen und ein anderes Gewicht haben…“ (unsere Jugend 1/1949, S. 6). Deutlicher, aber auch moderner lässt sich der Einmischungs- und Beteiligungsgedanke der Kinder- und Jugendhilfe nicht ausdrücken. Und ein Schelm, wer bei dem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag von 2017 , ein Gesamtkonzept für die Kinder- und Jugendhilfe in Niedersachsen zu entwickeln, etwas Böses denkt.

In derselben Ausgabe findet sich auf den Seiten 28 und 29 der Entwurf eines neuen RJWG, weil das Ursprungsgesetz von 1922 durch die Notverordnung vom 2.4.1924 weitgehend außer Kraft gesetzt worden und durch das Gesetz von 1.2.1939 das Führerprinzip an Stelle des bisherigen Behördenaufbaus gesetzt worden war. Begründet wurde die Vorlage dieses Entwurfes mit der Sorge, dass es eine Regelungslücke der Jugendhilfe gebe, der Abhilfe geschaffen werden müsse.

Der insgesamt 14 Paragraphen umfassende Gesetzesentwurf, der sich ausdrücklich auf das RJWG von 1922 bezieht, schrieb vor, das in jeder kreisfreien Stadt und für jeden Landkreis ein Jugendamt zu errichten sei (§ 8). Zudem „dürfen für die fachliche Arbeit hauptamtlich nur Personen bestellt werden, die eine für die Jugendwohfahrtspflege nach ihren Kenntnissen und ihrer Erfahrung besondere Eignung besitzen“ (§ 9 Abs. 2). Nach dem dann sehr ausführlich eine Regelung über die Zusammensetzung des „Jugendwohlfahrtsausschuss“ erfolgt, schlägt der Gesetzentwurf in seinem § 14 Abs. 2 vor: „Das Landesjugendamt ist nach näherer Vorschrift der Obersten Landesjugendbehörde an der staatlichen Aufsicht über die Jugendämter zu beteiligen.“

Durch Dekret der Besatzungsbehörden wurde aber das RJWG von 1922 ohne Änderungen wieder in Kraft gesetzt. Es dauerte schließlich noch bis Anfang der sechziger Jahre, bis mit dem dann neuen Jugendwohlfahrtsgesetz eine neue gesetzliche Grundlage für die Jugendhilfe in Westdeutschland geschaffen werden konnte. Auch später, so in den achtziger Jahren vor dem SGB VIII und aktuell sind die Entstehungsprozesse neuer Gesetze in diesem Bereich langwierig, weil es immer auch um grundlegende gesellschaftliche Gestaltungsvorstellungen geht. In der DDR nahm die Jugendhilfe eine eigene Entwicklung; der Bereich wurde dem Ministerium für Volksbildung zugeordnet, das Jugendgesetzbuch regelte ab 1974 diesen Bereich im Sinne des sozialistischen Einheitsstaates und seiner repressiven Erziehungsvorstellungen.


Dr. Dirk Härdrich





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