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BGH hält Teile des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen für verfassungswidrig

Im Rahmen dieses Newsletters ist das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2429) schon mehrfach Thema gewesen. Bereits vor dessen Inkrafttreten war der Umgang der Kinder- und Jugendhilfe insbesondere mit verheirateten unbegleiteten ausländischen Jugendlichen mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Der vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Februar 2017 vorgelegte Gesetzesentwurf spiegelte die kritische Sicht der Gesellschaft auf Minderjährigenehen wider, sah sich aber auch seinerseits zum Teil erheblichen Bedenken ausgesetzt (s. hier: https://soziales.niedersachsen.de/startseite/kinder_jugend_familie/landesjugendamt/newsletter_jin/newsletter_01_2017/entwurf-eines-gesetzes-zur-bekaempfung-von-kinderehen-152367.html).

Nunmehr hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 14. November 2018 – XII ZB 292/16 – ein Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vorgelegt, dessen Ausgang maßgeblich von der Wirksamkeit des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen abhängt. Der zu Grunde liegende Sachverhalt dürfte (jedenfalls in ähnlicher Form) in vielen Jugendämtern geläufig sein: Zwei syrische Staatsangehörige, geboren am 1. Januar 1994 und am 1. Januar 2001, schlossen am 10. Februar 2015 vor dem Scharia-Gericht in Sarakeb/Syrien die Ehe. Aufgrund der Kriegsereignisse flüchteten sie nach Deutschland, wo sie im August 2015 ankamen. Nach ihrer Registrierung in einer Erstaufnahmeeinrichtung wurde die minderjährige Ehefrau, die bis dahin seit Februar 2015 mit ihrem Ehemann zusammengelebt hatte, im September 2015 vom Jugendamt in Obhut genommen, vom Ehemann getrennt und in eine Jugendhilfeeinrichtung für weibliche minderjährige unbegleitete Flüchtlinge verbracht. Das Amtsgericht bestellte das zuständige Stadtjugendamt zum Vormund. Der Ehemann, der zunächst nicht wusste, wohin die Betroffene verbracht worden war, beantragte beim Amtsgericht eine Überprüfung der Inobhutnahme sowie die Rückführung seiner Ehefrau. Auf Grund einer Umdeutung dieses Begehrens in einen Antrag auf Regelung des Umgangsrechts regelte das Amtsgericht eben dieses Umgangsrecht dahingehend, dass die Ehefrau das Recht habe, jedes Wochenende mit dem Antragsteller zu verbringen. Der Vormund reichte hiergegen Beschwerde beim Oberlandesgericht mit dem Begehren ein, das Umgangsrecht auf einen Zeitraum von drei Stunden in der Woche unter Begleitung eines Dritten zu beschränken. Dieses Begehren wies das Oberlandesgericht (noch vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen) zurück und hob zugleich die Entscheidung des Amtsgerichts von Amts wegen auf, weil dem Vormund wegen der auch in Deutschland gültigen Ehe keine Entscheidungsbefugnis für den Aufenthalt der Betroffenen zustehe. Das Oberlandesgericht stützte sich hierbei auf den später durch das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen aufgehobenen § 1633 BGB. Mit zugelassener Rechtsbeschwerde zum BGH will der Vormund der Ehefrau weiterhin ein reduziertes Umgangsrecht nur in Begleitung eines Dritten erreichen. Der BGH legte mit eingangs genanntem Beschluss die Sache dem BVerfG vor, um eine Entscheidung zu der Frage einzuholen, ob Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen mit Art. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit eine unter Beteiligung eines nach ausländischem Recht ehemündigen Minderjährigen geschlossene Ehe nach deutschem Recht – vorbehaltlich der Ausnahmen in der Übergangsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB – ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nichtehe qualifiziert wird, wenn der Minderjährige im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr nicht vollendet hatte.

Gedanklich gliedert sich der Vorlagebeschluss in zwei Schritte: Zunächst wird festgestellt, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit der in Rede stehenden Regelung (hier Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen) für den Ausgang des Verfahrens erheblich ist. In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass sich bei angenommener Verfassungswidrigkeit (und damit Nichtgeltung) dieser Vorschrift die Qualifizierung der im konkreten Fall eingegangenen Ehe als Nichtehe auch nicht aus dem so genannten ordre public ergäbe. Ein Verstoß gegen den ordre public ist gegeben, wenn die Anwendung einer Rechtsnorm eines anderen Staates zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Regelung nicht mit den Grundrechten im Einklang steht. Im dargestellten Sachverhalt sei der ordre public allerdings nicht verletzt. Der BGH gelangt zu dieser Einschätzung unter anderem mit der Erwägung, dass sich im Hinblick auf die individuelle Entwicklung jedes Kindes jegliche schematische Lösung verbietet und daher insbesondere von einer starren Altersuntergrenze für die Ehemündigkeit nicht ausgegangen werden könne. Maßgeblich sei vielmehr die Gewährleistung des Kindeswohls der Betroffenen, hinsichtlich dessen sich im gesamten Verfahren keine konkreten Bedenken ergeben hätten.

Im Übrigen stellt der BGH fest, dass es auf den Regelungsgehalt des mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen aufgehobenen § 1633 BGB nicht ankomme. Nach dieser Vorschrift hatte der Vormund bei einem verheirateten Mündel keine Entscheidungsbefugnis für die Belange des Aufenthalts und des Umgangs. Die Trennung einer Minderjährigen von ihrem Ehegatten, die weder die Wirksamkeit der Ehe noch das Kindeswohl berücksichtigt, scheitere allerdings nicht an dieser (außer Kraft getretenen) Regelung, sondern an der Widerrechtlichkeit des Vorenthaltens des Ehegatten. Denn dass die Ehegatten von einem Dritten – hier dem Vormund als Inhaber der Personensorge – daran gehindert werden, die eheliche Lebensgemeinschaft in ihrem Teilaspekt der häuslichen Gemeinschaft zu verwirklichen, sei mit dem Wesen der Ehe nicht vereinbar.

Nach alledem komme es für die Entscheidung darauf an, ob die eingegangene Ehe als Nichtehe zu qualifizieren ist oder nicht, mithin auf die Verfassungsmäßigkeit des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen.

Eben diese Verfassungsmäßigkeit wird vom BGH sodann in einem zweiten gedanklichen Schritt in Abrede gestellt. Der BGH sieht Verstöße gegen verschiedene Grundrechte.

Ein Verstoß gegen Art. 6 GG wird gesehen, weil die fragliche Regelung ohne sachlichen Grund in den Kernbereich der Ehe eingreife, indem sie den Ehegatten die Gestaltung ihrer ehelichen Lebensverhältnisse nach ihren Vorstellungen verweigert. Darüber hinaus fehle jegliche Regelung über die Rechtsfolgen der Nichtigkeit der Ehe, etwa zur Frage der Abstammung von Kindern, die in der unwirksamen Ehe geboren werden, zur elterlichen Sorge für solche Kinder oder zu etwaigen Unterhaltsansprüchen des Minderjährigen aus der unwirksamen Ehe.

Weiterhin verstößt die Regelung nach Ansicht des BGH gegen Art. 6 Abs. 1 GG unter dem Gesichtspunkt des aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Vertrauensschutzes. Maßgeblich ist hier die Erwägung, dass die Qualifizierung als Nichtehe an einen vergangenen Sachverhalt (Eheschließung) anknüpfe, an den bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen eine andere Rechtsfolge, nämlich lediglich die Aufhebbarkeit und nicht die Nichtigkeit, geknüpft worden sei. Der Gesetzgeber müsse aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Dies sei nicht erfolgt.

Zudem sieht der BGH einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte bedarf eines sachlichen Grundes. Ein solcher sachlicher Grund sei zum einen für die Differenzierung zwischen im Ausland und in Deutschland geschlossenen Ehen nicht ersichtlich: Während nach den fraglichen Regelungen eine nach deutschem Recht vor dem 22. Juli 2017 unter Verstoß gegen die Ehemündigkeit geschlossene Ehe weiterhin wirksam, aber aufhebbar bleibt, ist die nach ausländischem Recht geschlossene Ehe unwirksam, wenn der minderjährige Ehegatte nicht vor dem 22. Juli 1999 geboren wurde und die Ehegatten vor der Volljährigkeit dieses Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland genommen haben.

Des Weiteren sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass es bei der Nichtigkeit gemäß Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB auch in dem Fall verbleibt, dass der zuvor in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Minderjährige hier das 18. Lebensjahr vollendet, während nach der Übergangsregelung des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 2 EGBGB die Ehe nach deutschem Recht wirksam ist, wenn die nach ausländischem Recht wirksame Ehe bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten geführt worden ist und kein Ehegatte seit der Eheschließung bis zur Volljährigkeit des minderjährigen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte.

Schließlich verstößt die Regelung nach Ansicht des BGH gegen den nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 GG gebotenen Schutz des Kindeswohls. Dieser verlange eine konkrete Prüfung des Wohls des betroffenen Kindes im Einzelfall. Mit einem generellen Mindestalter für die Eheschließung, das keinerlei Ausnahmen im Einzelfall zulässt, stehe dies nicht in Einklang. Eine entsprechende Wertung ergebe sich auch aus der UN-Kinderrechtskonvention.

Da das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich formeller Gesetze das Verwerfungsmonopol hat, ist das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vorerst weiterhin anzuwenden.

Den Beschluss finden Sie im Wortlaut hier: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=8f3f536fe9771956119dd3bf73cae3db&nr=90440&pos=0&anz=1,

Ausführungen zur angenommenen Verfassungswidrigkeit ab Randnummer 67.

Eine ergänzende Pressemitteilung des BGH ist ebenfalls eingestellt: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=8f3f536fe9771956119dd3bf73cae3db&anz=1&pos=0&nr=90437&linked=pm&Blank=1



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