Vorerst kein Familiennachzug bei subsidiär Schutzberechtigten
Als Teil des so genannten „Asylpakets II“ wurde mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) die Regelung des § 104 Abs. 13 AufenthG in das Aufenthaltsgesetz eingefügt. Sie sieht eine bis zum 18. März 2018 befristete Aussetzung des Familiennachzugs auch bei minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten vor. Mit dem am 1. Februar 2018 vom Bundestag beschlossenen und am 16. März 2018 in Kraft getretenen (BGBl I S. 342) Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten wurde die Aussetzung bis zum 31. Juli 2018 verlängert.
Ein mittlerweile 13 Jahre alter Syrer reiste im Sommer 2015 mit seinem Onkel in das Bundesgebiet ein. Unmittelbar nach Zuerkennung subsidiären Schutzes stellte er einen Antrag auf Nachzug seiner in der Türkei lebenden Mutter, die dort erwerbstätig ist und mittlerweile die türkische Staatsangehörigkeit erhalten hat. Die Trennung dauerte zu diesem Zeitpunkt bereits etwa drei Jahre an. Der Antrag auf Familiennachzug wurde unter Hinweis auf § 104 Abs. 13 AufenthG abgelehnt, hiergegen eingelegter einstweiliger Rechtsschutz blieb in zwei Gerichtsinstanzen erfolglos.
Das Kind und seine Mutter erhoben daraufhin Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und stellten dort unter anderem den Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung der Mutter ein vorläufiges Visum zur Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu erteilen. Das BVerfG hat diesen Antrag mit Beschluss vom 20. März 2018 – 2 BvR 1266/17 – abgelehnt.
Das Gericht stützt seine Entscheidung ausdrücklich nicht auf eine verfassungsrechtliche Prüfung der Vereinbarkeit des § 104 Abs. 13 AufenthG mit Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (Schutz von Ehe und Familie). Diese Prüfung ist dem Hauptsacheverfahren, also der Verfassungsbeschwerde selbst vorbehalten. Insoweit stellt das Gericht fest, dass sich die Verfassungsbeschwerde, soweit die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug begehrt wird, gegenwärtig weder als unzulässig noch als offensichtlich unbegründet darstellt. Vor dem Hintergrund dieses offenen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens wägt das BVerfG die Folgen ab, die eintreten würden, wenn einerseits eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, und wenn andererseits die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre. Dabei stellt das Gericht fest, dass wegen der weitreichenden Folgen einer einstweiligen Anordnung an deren Erlass ein strenger Maßstab anzulegen ist, der sich mit Blick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung nochmals verschärft, wenn eine solche Anordnung zur Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes führen würde.
Mit eben diesem Argument wird der Erlass der begehrten Anordnung auf Erteilung eines vorläufigen Visums schließlich abgelehnt. Denn eine solche Entscheidung könnte nur mit (ohnehin erst im Hauptsacheverfahren zu prüfenden) verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung des § 104 Abs. 13 AufenthG begründet werden, die dann für alle anderen Fälle des Elternnachzugs zu minderjährigen subsidiär Schutzberechtigten ebenso gelten müssten. Dies käme im Ergebnis einer entsprechend weitgehenden Aussetzung des Vollzugs der gesetzlichen Regelung gleich.
Im Ergebnis lässt das Gericht also vorläufig offen, ob § 104 Abs. 3 AufenthG tatsächlich verfassungswidrig ist. Hierzu ist die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde selbst abzuwarten. Weiterhin wird in der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz nicht geklärt, ob die Regelung des § 22 AufenthG den Anspruch auf Erteilung eines jedenfalls vorläufigen Visums hätte begründen können. § 22 AufenthG sieht die Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen vor. Insoweit stellt das BVerfG fest, dass die Verfassungsbeschwerde zur möglichen Anspruchsgrundlage des § 22 AufenthG keine ausreichende Begründung enthalten habe und deswegen unzulässig sei. Schließlich geht das Gericht nicht der Frage nach, ob ein erst nach dem zweitinstanzlichen Verfahren vorgelegtes psychotherapeutisches Gutachten, welches dem Kind eine depressive Episode bescheinigt, nunmehr zu einer Anspruchsberechtigung führen könnte. Denn dieses Gutachten hat der ersten und zweiten Gerichtsinstanz nicht vorgelegen und konnte dort demzufolge nicht berücksichtigt werden. Insoweit verweist das BVerfG darauf, dass diese neuen Umstände zunächst beim Verwaltungsgericht geltend zu machen seien, um eine Änderung des erstinstanzlichen Beschlusses zu erwirken. Im Rahmen der erneuten fachgerichtlichen Entscheidung könne dann auch berücksichtigt werden, dass das Verwaltungsgericht bereits in seiner ursprünglichen Entscheidung darauf hingewiesen habe, eine tatsächliche Trennungszeit von fast drei Jahren liege wohl an der Grenze eines noch vertretbaren Zeitraumes.
Die Entscheidung des BVerfG ist im Volltext hier nachzulesen: