Der Jugendhilfeausschuss – eine Ausschuss mit besonderen Aufgaben
Der Jugendhilfeausschuss – eine Standortbestimmung
Jetzt nach der Kommunalwahl 2016 haben überall in Niedersachsen in den Kreistagen, den Städten mit eigenem Jugendamt und der Region Hannover die Konstituierungen der Räte, Kreistage und der Regionsversammlung stattgefunden. Neben allen anderen Ausschüssen wurden überall wieder die Jugendhilfeausschüsse gebildet, i.R. auch mit einer Beschlussvorlage, in der es den Hinweis gibt, dass es sich um einen Ausschuss „besonderen Rechts“ handelt. Gerade neuen Mitgliedern der Vertretungskörperschaften (aber auch vielen erfahrenen) ist oft nicht klar, dass es sich bei dem Jugendhilfeausschuss um einen besonderen Ausschuss mit eigener, von den anderen Ausschüssen abweichender Zusammensetzung und eigenen Rechten handelt.
Er ist kein „normaler“ kommunaler Ausschuss wie andere Ausschüsse, die von der Vertretungskörperschaft beschlossen und als vorbereitende Fachausschüsse eingerichtet werden können.
Zunächst einmal ist die Existenz dieses Ausschusses in den Kommunen, die über ein Jugendamt verfügen, bundesgesetzlich zwingend vorgeschrieben. Der § 70 des Sozialgesetzbuches VIII, landläufig auch als Kinder- und Jugendhilfegesetz bezeichnet, beschreibt das Jugendamt als Konstrukt, das aus der Verwaltung und dem Jugendhilfeausschuss besteht. Daher wird dieser Ausschuss oft auch als einer bezeichnet, der auf Grund eigener Rechtsvorschriften zu bilden ist.
Hinzu kommt aber noch der Umstand, dass auch die Zusammensetzung grundsätzlich im Bundesgesetz geregelt und in Niedersachsen durch das Ausführungsgesetz zum SGB VIII (AG SGB VIII) im Detail bestimmt ist. Diese Zusammensetzung weicht von den Grundregeln des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes NKomVG in mehrfacher Hinsicht ab.
Das Jugendamt als pädagogische Fachbehörde – eine historische Herleitung
Natürlich sind alle Regelungen nicht in Stein gemeißelt und die speziellen Normen für den Jugendhilfeausschuss haben keinen Ewigkeitscharakter. Sie werden auch schon immer von vielen Kommunalvertreterinnen und –vertretern als Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung verstanden. Dennoch gibt es historische und fachliche Begründungen für diese besondere Ausschusskonstruktion.
Als 1922 das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz verabschiedet wurde (RGBl.1922, Nr. 54, S. 633 ff.), war das ein Meilenstein in der modernen Sozialgesetzgebung. Hier wurden erstmals für alle jungen Menschen soziale (damals nannte man das noch Fürsorge) Rechtsansprüche festgeschrieben. Gleichzeitig formte der Reichsgesetzgeber auch reichseinheitlich die dafür erforderliche Sozialverwaltung aus, in dem er vorschrieb, dass für die Wahrnehmung dieser Aufgaben Jugendämter zu gründen sind. Das ist insofern von Bedeutung, als damals nicht nur eine sozialstaatliche Aufgabe festgeschrieben, sondern auch klar festgehalten wurde, dass eine qualitative Umsetzung mit dem Ziel einigermaßen gleichwertiger Lebensverhältnisse auch eines Verwaltungsunterbaus bedürfte. Nach der Wirtschafts- und Inflationskrise 1923 wurde zwar die Bestimmung zur Errichtung von eigenständigen Jugendämtern in den Kommunen außer Kraft gesetzt - diese Aufgaben konnten nun auch anderen kommunalen Ämtern zugeordnet werden - dennoch war es erst einmal eine ausgesprochen moderne sozialstaatliche Vorstellung, die hier im Grundsatz Gesetz wurde.
Den Gesetzgebern war 1922 aber auch klar, dass es bei der „Jugendwohlfahrt“ nicht nur um Fürsorge gehen würde, sondern dass es sich dabei auch um ein anspruchsvolles pädagogisches Konzept handeln würde. Das war einer der Gründe, warum seinerzeit die Verwaltung in der Jugendhilfe anders zusammengesetzt sein sollte, als es normalerweise im Verwaltungsbereich üblich ist. Die Behördenleitung wurde damals nämlich im § 9 RJWG als Kollegialorgan konzipiert, dem neben hauptamtlichen Verwaltungskräften „erfahrene und bewährte Männer und Frauen aller Bevölkerungskreise, insbesondere aus den im Bezirk des Jugendamtes wirkende freie Vereinigungen für Jugendwohlfahrt und Jugendbewegung“ angehören sollten. Diese Personen hatten zudem Anspruch auf zwei Fünftel der Zahl der nichtbeamteten Mitglieder. Auch als mit der Verordnung über das Inkrafttreten des Reichsgesetzes für Jugendwohlfahrt 1924 die Verpflichtung zur Errichtung von eigenständigen kommunalen Jugendämtern aufgehoben wurde, blieb die Beteiligungsvorschrift des § 9 RJWG erhalten.
Neben dem Ansinnen, pädagogische Gesichtspunkte in das Verwaltungshandeln einzuführen spielte natürlich auch eine Rolle, dass die Jugendwohlfahrt bis dahin wesentlich von freien Trägern getragen worden war und diese Sorge vor einer „Verstaatlichung“ dieses Bereiches und um ihren Einfluss und ihre Stellung hatten. Um dieser Sorge entgegenzuwirken und damit eine Reichstagsmehrheit zu erreichen, wurde diese Mitwirkungsmöglichkeit in der Leitung des Jugendamtes für die freien Träger, wie man heute sagen würde, verankert.
Nachdem es 1933 auch in der Jugendhilfe zur Durchsetzung des Führerprinzips gekommen war, wurde dieser Bereich 1951 und 1961 durch die Neufassungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes neu geordnet und statt einer kollegialen Behördenleitung der auch heute noch bekannte Dualismus von Verwaltung und zugeordnetem Fachausschuss eingeführt.
Eine Normenkontrollklage von Kommunen vor dem Bundesverfassungsgericht wegen eines Eingriffs in die kommunale Selbstverwaltung durch das Bundesgesetz wurde 1961 abgewiesen, das BVerfG stellte damals klar, dass die Jugendhilfe Teil der Fürsorge, sprich des Sozialstaates sei und dieser auch wegen der anzustrebenden gleichen Lebensverhältnisse der Regelung des Bundes zugeordnet sei, auch wenn die Ausführung dann den Kommunen zugeordnet sei. Auch wenn es immer mal wieder politische Vorstöße zur Änderung dieser außergewöhnlichen und in der kommunalen Verwaltung einmaligen Konstruktion gab, wurde sie seitdem nicht geändert. In einem Referentenentwurf aus dem Jahr 1974 für eine Novelle des Jugendwohlfahrtsgesetzes wurde dann auch erneut davon gesprochen, dass das Jugendamt „in erster Linie eine Erziehungsbehörde sei“ und sich dadurch „von anderen Dienststellen unterscheide“. Im Kommentar von Reinhard Wiesner, dem „Vater des SGB VIII“ und langjährigen Ministerialrat im Bundesfamilienministerium heißt es denn auch in der Überschrift zu dem Kapitel über das Jugendamt bezeichnenderweise: „Das Jugendamt als Realisierung einer sozialpädagogischen Idee“, womit einmal mehr die auch inhaltliche Sonderstellung dieser Behörde beschrieben ist.
Mit dem modernen SGB VIII wurde diese Regelung des Jugendhilfeausschusses beigehalten und prägt auch heute noch die Jugendhilfe in den kommunalen Strukturen und den Landesjugendämtern.
Die besondere Stellung des JHA in der kommunalen Exekutive
Die kommunale Selbstverwaltung ist Teil der Exekutive, d.h. des ausführenden Teils der öffentlichen Verwaltung. Auch die politischen Entscheidungsorgane, Räte, Kreistage und die Regionsversammlung sind Bestandteil dieses Systems. Dennoch gibt es eine deutliche Trennung zwischen den politischen Vertretungsorganen und der Verwaltung der Kommune. Die politischen Vertretungen können sich zur Vorbereitung ihrer Beschlüsse beratende Ausschüsse geben; davon wird traditionell immer Gebrauch gemacht. Zu Beginn einer Kommunalperiode gibt es zwar mal die eine oder andere Umgliederung, mal wird ein Ausschuss abgeschafft oder auch neu geschaffen. Bezeichnend für alle diese Ausschüsse (mit Ausnahme des Hauptausschusses) ist der Umstand, dass dort nur die Mitglieder der Vertretungskörperschaft Stimmrecht haben und sie in ihrer Zusammensetzung die Mehrheitsverhältnisse der Vertretungskörperschaft wiederspiegeln müssen. Außerdem haben die Beschlüsse „nur“ empfehlenden Charakter.
Das ist beim Jugendhilfeausschuss anders.
Er ist nicht eigentlicher Teil der Rats-/ Kreistagsausschüsse, sondern integraler Bestandteil der Verwaltung, sprich des Jugendamtes. Eigentlich ist er – so könnte man das bildhaft beschreiben – der Aufsichtsrat des Jugendamtes. Wie oben beschrieben ist der Jugendhilfeausschuss ja aus der kollegialen Behördenleitung des RJWG entstanden und das erklärt auch seine eigenartige Zwitterstellung.
Er ist auch insofern kein „normaler“ Ratsausschuss, weil seine Zusammensetzung deutlich von der anderer Ausschüsse unterschieden ist. Schon die von der Vertretung zu benennenden Mitglieder müssen keine Rats- oder Kreistagsmitglieder sein; wenn sie das aber nicht sind, müssen sie „in der Jugendhilfe erfahren sein“. Da taucht, wenn auch etwas modernere formuliert, die Festlegung aus dem § 9 RJWG von 1922 wieder auf. Hinzu kommen stimmberechtigte Mitglieder, die sich aus den im Jugendamtsbezirk tätigen freien Trägern der Jugendhilfe speisen.
Als beratende Mitglieder werden hier auch sehr ausführliche Vorgaben durch das AG SGB VIII gemacht. Damit soll in erster Linie pädagogische Fachkompetenz und verschiedene Professionssichtweisen in den Ausschuss integriert werden. Auch das verdeutlicht, dass dieser Ausschuss weniger eine politische Funktion wie die anderen Ausschüsse, sondern eine fachsteuernde Funktion für die Verwaltung des Jugendamtes wahrnehmen soll.
Der Jugendhilfeausschuss als Teil des Jugendamtes
Weiter oben wurde bereits ausgeführt, dass der JHA Teil des Jugendamtes ist. Dieses besteht lt. § 70 SGB VIII aus diesem Ausschuss und der Verwaltung. Nach außen vertreten wird das Jugendamt durch den Leiter bzw. die Leiterin und nicht durch den Vorsitzenden/ die Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses.
Dabei legt der § 70 SGB VIII auch fest, dass die Geschäfte der laufenden Verwaltung vom Leiter des Jugendamtes im Rahmen der Satzung des Jugendamtes und der Beschlüsse der Vertretung wahrgenommen werden.
Damit sind drei wichtige Setzungen und Handlungsbeschränkungen des Jugendhilfeausschusses benannt. Er ist nicht für die laufenden Geschäfte zuständig. Darunter wird im Allgemeinen die tägliche, im Rahmen rechtlicher Vorgaben erfolgende Verwaltungsarbeit, insbesondere Einzelfallarbeit verstanden. Das ist in der Alltagspraxis auch nachvollziehbar, denn angesichts des Sitzungsrhythmus eines Jugendhilfeausschusses wird dieser gar nicht in der Lage sein, sich intensiver mit Einzelfragen des laufenden Verwaltungshandelns zu befassen.
Aber das Jugendamt und der JHA ist auch an die Satzung des Jugendamtes gebunden, die von der Vertretungskörperschaft beschlossen wurde und die konkrete Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung und Jugendhilfeausschuss regelt. Zudem ist klargestellt, aber eigentlich selbstverständlich, dass sich das Jugendamt in seinen beiden Teilen nur im Rahmen der Beschlüsse des Rates/ Kreistages/ der Regionsversammlung bewegen kann.
Diese kann Beschlüsse des JHA auch verändern oder nicht beschließen. Zwar soll der JHA einen substantiellen eigenen Beschlussbereich haben, wie dieser ausgestaltet wird, ist aber von Jugendamt zu Jugendamt und von Kommune zu Kommune unterschiedlich.
So könnte die Verteilung der Bezuschussung von Angeboten freier Träger (Beratungsstellen) im Rahmen eines Gesamtbudgets eine klassische Aufgabe des JHA sein. Auch die Festlegung von Angeboten des Ferienpasses oder einer Jugendeinrichtung könnte abschließendes Beschlussrecht des JHA sein.
Aufgaben und Rechte des Jugendhilfeausschusses
Das SGB VIII beschreibt i, § 71 auch die Aufgabenstellung des Jugendhilfeausschusses. Seine inhaltlichen Befugnisse sind sehr weit gefasst. So befasst er sich mit allen Angelegenheiten der Jugendhilfe, insbesondere mit den Problemlagen junger Menschen mit der Jugendhilfeplanung, d,h, mit dem vorhandenen und fehlenden Angebot von Leistungen und Diensten der Jugendhilfe im Zuständigkeitsbereich des Jugendamtes mit der Förderung der freien Jugendhilfe. Diese wird in vielen Fällen materieller Art sein, kann aber auch andere fachliche Aufgaben umfassen. So wird in der Regel die Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe gem. § 75 SGB VIII im Jugendhilfeausschuss beraten und beschlossen.
Dieses sehr weit gefasste Befassungsrecht kann, insbesondere bezogen auf den ersten Spiegelstrich auch bedeuten, sich als Jugendhilfeausschuss mit Themen zu befassen, die möglicherweise inhaltlich anderen Ausschüssen wie dem Bau- und Planungs- oder dem Verkehrsausschuss zugeordnet sind, wenn es sich um Themen aus dem Bau- oder Verkehrsbereich handeln könnte. Der Ausschuss ist wie die Verwaltung des Jugendamtes anwaltlich für die Interessen der jungen Menschen tätig und daraus ist sein umfangreiches Befassungsrecht begründet.
Dem Jugendhilfeausschuss ist aber auch das Beschlussrecht in allen Fragen der Jugendhilfe zugeordnet. Das heißt, sobald es sich um ein Thema handelt, dass Jugendhilfe ist und auch im SGB VIII verankert ist, muss dieses dem Jugendhilfeausschuss (und keinem anderen Ausschuss wie dem Sozial- oder Sportausschuss) vorgelegt werden. Die Verwaltung der Kommune ist verpflichtet, dieses Befassungs- und Beschlussrecht zu wahren. Die Geschäftsordnung des Rates oder Kreistages ist bei der Ausschussfestlegung und deren Befassungsgegenstände nicht befugt, anderen Ausschüssen Themen der Jugendhilfe zur alleinigen oder bevorzugten Beschlussfassung zuzuordnen.
Darüber hinaus hat der Jugendhilfeausschuss als einziger Ausschuss das Recht, sich mit Anträgen direkt an die Vertretungskörperschaft zu wenden. Diese müssen vom Hauptausschuss und der Vertretungskörperschaft beraten werden. Dabei hat der Hauptausschuss zwar das Recht, diesen Antrag zu verändern oder abzulehnen und diese Veränderung oder Ablehnung der Vertretungskörperschaft zur Beschlussfassung zuzuleiten. Dabei muss aber der Ursprungsantrag des JHA ebenfalls mit weitergeleitet werden. Es ist nicht das Recht des Hauptausschusses, einen Antrag des JHA anzuhalten und eine Weiterleitung an die Vertretungskörperschaft zu blockieren. Das würde das bundesgesetzliche Antragsrecht des JHA aushebeln.
Schließlich soll der JHA vor der Berufung eines neuen Jugendamtsleiters gehört werden. Daraus erwächst im Regelfall ein Anhörungsrecht und es muss schon sehr wichtige rechtliche Gründe geben, wenn dem JHA dieses Recht verwehr werden sollte.
Der JHA hat dann natürlich das Recht, dem Berufungsvorschlag zuzustimmen oder ihn auch abzulehnen, wobei eine Ablehnung zwar eine moralische, aber keine rechtlich bindende Wirkung hat. Es wäre aber schon ein bemerkenswertes und zu beachtendes Signal, wenn der Jugendhilfeausschuss den designierten Leiter/ die Leiterin des Jugendamtes, mit der dann eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit erfolgen muss, ablehnen würde.
In der Alltagspraxis wird sich die Arbeit eines Jugendhilfeausschusses mit der inhaltlichen Befassung von Grundsätzen der Arbeit der Verwaltung befassen. In vielen Fällen legt die Verwaltung zu einzelnen Arbeitsbereichen der Kinder- und Jugendhilfe Berichte vor, die vom JHA diskutiert werden können. Dabei ist es (wie in jedem Ausschuss) von der fachlichen Kompetenz, dem Engagement und einem inhaltlichen Gestaltungswillen abhängig, ob die Berichte lediglich zur Kenntnis oder ob diese zum Anlass genommen werden, das fachliche Handeln des Jugendamtes kritisch zu hinterfragen und grundsätzliche Vorgaben zu machen. Die Rechte und Möglichkeiten des Jugendhilfeausschusses werden in den Kommunen sehr unterschiedlich intensiv genutzt. Das gilt für die Mitglieder dieses Gremiums ebenso wie für die Verwaltung. Auch aus deren Sicht ist es sehr stark davon abhängig, ob die Leitung der Verwaltung des Jugendamtes einen Jugendhilfeausschuss als „lästiges“ Beiwerk und die Mitsprache der Jugendhilfeausschussmitglieder als störend einstuft oder ob sie den JHA als Fachgremium nutzt und die Bereitschaft vermittelt, das eigene fachliche Handeln hinterfragen zu lassen. Es kann auch aus Sicht der Verwaltung des Jugendamtes hilfreich sein, die eigene Position innerhalb der Verwaltung durch eine Unterstützung des Jugendhilfeausschusses zu verstärken.
Die Bedeutung des JHA im kommunalen Gefüge
Nach wie vor wird die Bedeutung der Jugendhilfe in der kommunalen Selbstverwaltung unterschiedlich eingeschätzt. Das gilt dann in der Folge auch für die Rolle und Bedeutung des Jugendhilfeausschusses.
Die ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und Gerhard Schröder haben im Zusammenhang mit den in ihrer Amtszeit erfolgenden Jugendhilferechtsreformen mit unterschiedlichen Worten ihre Geringschätzung für diesen Arbeitsbereich zum Ausdruck gebracht; Gerhard Schröder wird die Bezeichnung „Gedöns“ in diesem Zusammenhang zugeschrieben.
Nach wie vor gilt die Jugendhilfe und damit der JHA als Ausschuss für Politikneulinge und für Frauen, während andere Ausschüsse, häufig die Planungsausschüsse eine weitaus höhere Wertschätzung auch bei den Kommunalpolitikerinnen und –politikern genießen, in die man aber erst gelangt, wenn man eine gewisse „Lehrzeit“ hinter sich gebracht hat. Das hat offenbar lange Tradition. In den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war z.B. die Zahl der Frauen im Niedersächsischen Landtag sehr gering und diese „tummelten“ sich natürlich im damaligen Jugendausschuss und es gibt die Aussage aus dieser Zeit gegenüber einer Abgeordneten, sie solle erst einmal in den Jugendausschuss gehen, in der kommenden Periode könne sie dann in einem wichtigen Ausschuss mitarbeiten.
So viel scheint sich da aber nicht geändert zu haben: bei der Konstituierung des Rates der Landeshauptstadt Hannover im November 2016 fiel der AfD der Jugendhilfeausschuss zu, was lt. Zeitung von einem sozialdemokratischen Kommunalpolitiker mit der Aussage kommentiert wurde: „Womöglich haben sich die Politikneulinge noch keinen wichtigen Ausschuss zugetraut“! Die damit zum Ausdruck kommende Geringschätzung des im kommunalpolitischen Gefüge entspricht aber weder der gesellschaftlichen Bedeutung der Jugendhilfe. Zwar ist die Jugendhilfe sehr stark rechtlich und fachlich strukturiert und der Gestaltungsspielraum der kommunalen Ebene ist begrenzt, aber das gilt für viele kommunale Bereiche. Andererseits sind Bereiche wie Hilfen zur Erziehung, Kinderschutz, Frühe Hilfen, der gesamte Kitabereich, die Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit gesellschaftlich hochbedeutende und angesichts der demografischen Entwicklung politisch brisante Bereiche.
Zudem ist der Haushaltsansatz der Kinder- und Jugendhilfe mit einer der höchsten in den kommunalen Haushalten und zudem einer der Haushaltsansätze, die in den vergangenen Jahren eine überproportionale Steigerung erfahren haben. Insofern korrespondiert die kommunalpolitische Einschätzung des Stellenwertes der Kinder- und Jugendhilfe nicht mit der gesellschaftlichen und fiskalischen Bedeutung dieses Bereiches.
Derartige politische Einschätzungen spiegeln aber möglicherweise auch wieder, dass es die Jugendhilfe selber nicht immer schafft, ihre gesellschaftliche Bedeutung hinreichend über den eigenen Fachexpertinnen- und –expertenkreis hinaus so deutlich zu machen, wie erforderlich und sinnvoll.
Es wäre zu kurz gesprungen, hier „der Politik“ vorzuwerfen, dass diese die Bedeutung der Jugendhilfe nicht begreife (wie es auch immer mal wieder von Jugendhilfefachleuten zu hören ist), sondern die „Lobbyarbeit“ der Kinder- und Jugendhilfe für ihre Bedeutung und die Anliegen der von ihnen vertretenen Bevölkerungsgruppe bedarf möglicherweise auch noch der einen oder anderen Verbesserung. Schließlich spiegeln derartige Aussagen von Vertreterinnen und Vertretern aus den kommunalen politischen Entscheidungsgremien ggf. nur eine gesellschaftliche Wahrnehmung wieder und sind insofern als seismografische Einschätzung durchaus auch Anlass für eine selbstkritische Reflektion.
Dr. Dirk Härdrich
Zum Autor:
Dr. Dirk Härdrich ist stellvertretender Leiter des Nds. Landesjugendamtes und Teamleiter für Grundsatzangelegenheiten und übergreifende Aufgaben der Jugendhilfe. Er ist seit 25 Jahren aktiver Kommunalpolitiker und Mitglied im Jugendhilfeausschuss der Region Hannover.
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