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Die Mitarbeit der Frau im Jugendamt

Amtsblatt und Halbmonatsschrift des Preußischen Ministeriums für Volkswohlfahrt  

Aus der Auflösung der Bibliothek der Bezirksregierung in diesem Jahr habe ich unter anderem das „Amtsblatt und Halbmonatsschrift des Preußischen Ministeriums für Volkswohlfahrt“ gerettet und werde in loser Folge daraus das Eine oder Andere hier vorstellen.

Nach der Gründung der Weimarer Republik 1919 wurde im Reichsland Preußen das Ministerium für Volkswohlfahrt gegründet, das in seinem Aufgabenzuschnitt im Wesentlichen mit dem heutigen Sozialministerium vergleichbar war. Es umfasst neben der Jugendwohlfahrt auch die Volksgesundheit, das Wohnungs- und Siedlungswesen, und die allgemeine Fürsorge.

Zum Land Preußen gehörte auch die Provinz Hannover, die in weiten Teilen identisch mit dem heutigen Bundesland Niedersachsen ist. Somit sind die amtlichen und nicht amtlichen Verlautbarungen dieses Ministeriums für weite Teile unseres Bundeslandes gültig gewesen.

„Die Mitarbeit der Frau im Jugendamt“, erschienen im nichtamtlichen Teil des Amtsblattes im Jahr 1924, S. 24 f.,

Dieser Artikel, verfasst von Frau Dr. jur. Anna Meyer, die als Referentin im Ministerium für Volkswohlfahrt tätig war, betont in einer auch aus heutiger Sicht bemerkenswerten Weise die Rolle und Bedeutung der Tätigkeit von Frauen in der Leitung des Jugendamtes.

Seinerzeit war, festgelegt im § 9 des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (RGBl. 1922, S. 138) die Leitung eines Jugendamtes nicht, wie heute üblich, in Verwaltung und Jugendhilfeausschuss gegliedert, sondern diese Zusammensetzung aus haupt- und ehrenamtlich Tätigen sollte sich in der kollegialen Leitungsspitze des Jugendamtes widerspiegeln. Dahinter stand die Einschätzung, dass es sich bei dem Jugendamt nicht um eine reine Verwaltungsbehörde handeln solle, sondern um eine pädagogische Behörde (eine Einschätzung, die auch heute noch manchem Jugendamt gut tun würde!). Die Autorin stellt ausdrücklich fest, dass im RJWG ausdrücklich von „Männern und Frauen“ die Rede sei und richtet insbesondere an die Frauen die Aufforderung, sich selber mit der Frage der Umsetzung zu befassen.

Da es keine Gewähr für Frauen gebe, in der Leitung beteiligt zu sein, „heißt es also, für die Frauen aufmerken und berechtigte Ansprüche in der richtigen Weise und zur richtigen Zeit zur Geltung zu bringen.

Die Frauen müssen also ihren Einfluss geltend machen, daß auf den von den freien Jugendwohlfahrtsvereinen aller Richtungen einzureichenden Vorschlagslisten auch Namen geeigneter, tüchtiger Frau stehen, und die weiblichen Kreistagsmitglieder und Stadtverordneten müssen in den Fraktionen dafür sorgen, daß nicht nur männliche Mitglieder in das Jugendamt gewählt werden.“

Da die auf diese Weise zur Mitarbeit in das Jugendamt gelangenden Frauen naturgemäß gering sei, stelle, so die Autorin, diese eine Art „Kerntruppe“ dar, die dann die Aufgabe hätte, weitere Frauen in die Arbeit des Jugendamtes zu ziehen. So müssten hauptamtliche weibliche Kräfte im Jugendamt eingestellt werden (Fürsorgerinnen, Wohlfahrtspflegerinnen – heute ASD/KSD), die gleichzeitig dann wieder eine Stütze für ehrenamtliche Mitarbeiterinnen bilden würden (im Text ist sprachlich bemerkenswert von „weiblichen Mitarbeitern“ (!) die Rede).

In der Folge führt Anna Meyer dann drei Arbeitsbereiche an, die aus ihrer Sicht für ehrenamtliche Mitarbeiterinnen vorrangig in Frage kommen würden. Sehr ausführlich beschreibt sie das Vormundschaftswesen, das Pflegekinderwesen und die Jugendgerichtshilfe als Arbeitsbereich der ehrenamtlichen Tätigkeit von Frauen.

Sie schließt mit der Feststellung: „Denn die Vielen, die am Werk sind, sind im Vergleich zu der Arbeit, die zu leisten ist, immer noch zu wenig“, um dann einen sehr pathetischen Appell anzufügen: „Möchten sich die Frauen bewußt werden, wie sehr die Jugend unseres Volkes ihrer Hilfe bedarf, möchten sich alle klar sein, daß auf ihnen die Verantwortung dafür ruht, ob es uns gelingt, durch die Arbeit an der Jugend eine bessere Zukunft für unser Volk und Vaterland herbeizuführen.“

Diese letzte Formulierung ist unter dem Eindruck des verlorenen Weltkriegs, des zusammengebrochenen Kaiserreichs und den Wirren der Nachkriegszeit mit Revolution, Reparationen, Gebietsabtretungen und der gerade zu Ende gegangenen Inflation mit den daraus resultierenden Verelendungen größerer Bevölkerungsteile zu bewerten.

Insgesamt ist dieser Artikel deshalb bemerkenswert, weil er einerseits zeigt, wie lange der Kampf um gleichberechtigte Teilhabe auch von Frauen in den Entscheidungs- und Entscheidungsgremien der öffentlichen Verwaltung bereits dauert, aber auch zeigt, wie gesellschaftlich modern die Jugendhilfe schon immer, auch 1924 bereits war.


Dr. Drik Härdrich

Ausschnitt aus "Amtsblatt und Halbmonatsschrift des Preußischen Ministeriums für Volkswohlfahrt"  
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