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Jugendhilfe – einfach erklärt

Einführung

Gerade im Zusammenhang mit der zunehmenden Anzahl an geflüchteten Menschen in Deutschland haben immer mehr Menschen Berührung mit der Kinder- und Jugendhilfe, die bislang wenig oder gar nichts damit zu tun hatten. Umso wichtiger ist es, dieses komplizierte und in Teilen auch erklärungsbedürftige System wenigstens in den Grundzügen verstehen zu können. In den folgenden Abschnitten wird der Versuch unternommen, die Kinder- und Jugendhilfe für Außenstehende verständlich darzustellen. Dabei werden manche Bereiche nicht vertieft dargestellt werden können.


Eine kurze Geschichte der Kinder- und Jugendhilfe

Die Kinder- und Jugendhilfe, so wie sie heute besteht, kann auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurückblicken. Mitte des 19. Jahrhunderts begann eine organisierte so genannte „Jugendfürsorge“, stark dominiert von den Kirchen. Es ging damals darum, Kinder und Jugendliche vor „Verwahrlosung“ zu schützen. Während auf der einen Seite die „Jugendfürsorge“ wuchs, entwickelte sich Ende des 19., Anfangs des 20. Jahrhunderts eine Freizeitbewegung junger Menschen, die sich in Vereinen organisierten und gemeinsam Freizeiten organisierten. Daraus entwickelte sich Jahrzehnte später die verbandliche Jugendarbeit. 1923 wurde dann erstmals die Jugendhilfe durch ein Reichsgesetz, das so genannte Reichsjugendwohlfahrtsgesetz geregelt. Wegen der sehr starken Stellung der Kirchen und Jugendverbände, heute würde man sagen, der freien Träger, gab es schon damals die Zweiteilung in die öffentliche und die freie Jugendhilfe. Diese macht bis heute einen wesentliches Element der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland aus. Nach der Nazi-Zeit wurde 1953 das Jugendwohlfahrtsgesetz erneuert und erst jetzt die heute noch bekannten Strukturen der Jugendämter mit Verwaltung und Jugendwohlfahrtsausschuss aufgebaut. 1993 wurde mit dem Sozialgesetzbuch VIII ein modernes Leistungsgesetz der Kinder- und Jugendhilfe geschaffen, das bis heute die Grundlage bildet.


Die heutige Struktur der Kinder- und Jugendhilfe

Die Kinder- und Jugendhilfe ist Teil der Sozialgesetzgebung Deutschlands. Sie ist gesetzlich im achten Sozialgesetzbuch geregelt, dem SGB VIII – landläufig auch Kinder- und Jugendhilfegesetz KJHG genannt. Dieses Gesetz formuliert den Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe, regelt Leistungen für die Kinder und Eltern und legt die Strukturen fest. Dabei bildet es auch die historisch gewachsene Struktur ab.

Die Kinder- und Jugendhilfe gliedert sich in drei Ebenen:

Bund:

Der Bund ist zuständig für die Rahmengesetzgebung der Kinder- und Jugendhilfe. Dieses Recht ist im Grundgesetz im Artikel 74 Abs. 1 Ziffer 7 (öffentliche Fürsorge) geregelt, denn eigentlich darf der Bund keine Regelungen für die Kommunen treffen, wie in der Jugendhilfe. Zudem ist er für die Statistik und die Finanzierung von Bundesorganisationen wie dem Bundesjugendring oder der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe zuständig.

Länder:

Die Bundesländer können einige Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe durch eigene Ausführungsgesetze weiter ausgestalten. In Niedersachsen gehört z.B. das Kindertagesstättengesetz dazu, das Jugendförderungsgesetz und das Ausführungsgesetz zum SGB VIII (AG SGB VIII). Fast alle Bundesländer haben ein Landesjugendamt. Das Niedersächsische Landesjugendamt NLJA ist zuständig für die so genannte Heimaufsicht (Aufsicht über Kindertagesstätten und „Kinderheime“), die Fortbildung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Förderprogramme, die Koordination der Frühen Hilfen und seit dem 01.11.2015 auch für die Verteilung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge UMA.

Kommunen:

Die eigentliche Jugendhilfe, also die unmittelbare Hilfe und Unterstützung für die Kinder und Jugendlichen und ihre Erziehungsberechtigten erfolgt durch die Kommunen. Landkreise und kreisfreie Städte haben ein Jugendamt und dieses ist nach dem SGB VIII zuständig für die Jugendhilfe. In Deutschland gibt es über 600 Jugendämter, in Niedersachsen allein 54. Diese Jugendämter sind Teil der kommunalen Verwaltungen und wegen der so genannten kommunalen Selbstverwaltung auch eigenständig. Niemand kann den Jugendämtern vorschreiben, wie sie ihre Aufgaben wahrnehmen. Auch das Landesjugendamt hat keine Aufsicht über die örtlichen Jugendämter. Den Rahmen für alle bilden natürlich das SGB VIII und die Landesgesetze, aber wie die Aufgabe wahrgenommen wird, das entscheidet jedes Jugendamt für sich. Hinzu kommt noch der Umstand, dass in Niedersachsen die Jugendarbeit und der Kitabereich in den Landkreisen auf die kreisangehörigen Städte und Gemeinden verlagert sind. Damit ist dieser Bereich sehr stark differenziert.


Die Leistungen und Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe

Die Jugendhilfe hat einen ganz generellen Auftrag, der im § 1 des SGB VIII formuliert ist. Dort heißt es: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“ Damit ist einmal klar, dass sich die Jugendhilfe an alle jungen Menschen (bis zum 27. Lebensjahr) unabhängig von Herkunft, Religion oder Nationalität richtet. Klar formuliert ist aber auch, dass es darum geht, junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Dabei geht es anders als in der Schule um einen viel breiteren Bildungsbegriff, der vor allem die Persönlichkeitsbildung im Blick hat. Unter diesem Blickwinkel sind alle Angebote und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zu sehen.

Folgende Leistungsbereiche gibt es grundsätzlich:

Hilfen zur Erziehung (HzE)

Dieser Bereich ist einer der zentralen Arbeitsbereiche der Jugendämter. Hier geht es vor allem darum, Familien zu unterstützen, in denen die Erziehung nicht so recht funktioniert oder gar ganz versagt. Dabei gibt es eine ganze Bandbreite von Unterstützungsangeboten von der Erziehungsberatung über die Familienhilfe und ambulante Angebote. Nur wenn das nicht funktioniert oder Kinder tatsächlich massiv vernachlässigt oder geschädigt werden, greifen die Jugendämter zur so genannten „Inobhutnahme“ und nehmen Kinder zeitweise oder dauerhaft aus den Familien. Das ist dann das so genannte „Wächteramt“. Allerdings ist eine dauerhafte Einschränkung der Elternrechte nur mit Zustimmung eines Familiengerichtes möglich, weil unsere Verfassung in Artikel 6 des Grundgesetzes das Recht der Eltern auf Erziehung festschreibt. Die Inobhutnahme ist daher nur eine „Notmaßnahme“.

Jugendarbeit

Die Jugendarbeit richtet sich an alle Jugendlichen und fördert die gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen. Kommunen, Vereine, Jugendverbände, Jugendinitiativen, Migrantenorganisationen u.a. bieten Angebote der Jugendarbeit, sowie neue Formen des jugendlichen Engagements. Die Pluralität ist durch die Trägervielfalt – öffentliche und freie - gewahrt. Jugendarbeit befähigt zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und Partizipation. Die Wirksamkeit entfaltet sich durch das Prinzip der Freiwilligkeit anknüpfend an den Interessen der jungen Menschen. Im Mittelpunkt steht die außerschulische Jugendbildung – mit internationaler, sportlicher, kultureller Jugendarbeit u.v.m. Insbesondere auch die politische Jugend- und Demokratiebildung.

Jugendsozialarbeit

Jugendliche, die in einer bestimmten Lebensphase Unterstützung für ihre eigene Lebensorganisation brauchen, weil sie z.B. keinen Schulabschluss geschafft haben oder straffällig geworden sind, können auf Angebote der Jugendsozialarbeit zurückgreifen. Dazu gehören Jugendwerkstätten, die Ausbildung bieten, aber sozialpädagogisch begleitet sind.

Kindertageseinrichtungen (Kita)

Zur Kinder- und Jugendhilfe gehört auch der Bereich der Kindertageseinrichtungen, der in der nächsten Ausgabe des Newsletters näher erläutert wird.


Öffentliche Träger und freie Träger

Um es noch etwas komplizierter zu machen, gliedert sich die Jugendhilfe noch in öffentliche und in freie Träger der Jugendhilfe. Auch dies ist historisch gewachsen.

Öffentliche Träger

Dazu gehören natürlich die Jugendämter, aber auch die Landesjugendämter, also die staatlichen und kommunalen Behörden. Diese haben vor allem die Aufgabe, die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe sicherzustellen (sie müssen sie aber nicht selber machen) und die Jugendämter nehmen auch das so genannte Wächteramt wahr. Die öffentlichen Träger finanzieren auch die Leistungen der Jugendhilfe in größten Teilen.

Freie Träger

Historisch gewachsen gibt es in Deutschland viele Organisationen, die Leistungen und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe vorhalten. Das kommt einerseits aus der christlichen Fürsorge und Barmherzigkeit, andererseits aus der Herausforderung, in der entwickelten Industriegesellschaft seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch organisierte soziale Hilfen anbieten zu können. Daher sind nach wie vor die beiden großen christlichen Kirchen mit der Diakonie und der Caritas, aber auch die so genannten Wohlfahrtsverbände wie Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsches-Rotes-Kreuz, Paritäten, AWO die großen freien Träger der Jugendhilfe. Viele Kitas, viele Heimeinrichtungen werden von diesen freien Trägern in eigener Regie und auch mit eigenem weltanschaulichen Konzept betrieben.


Besonderheiten in der Kinder- und Jugendhilfe

Fachkräftegebot

Die Kinder- und Jugendhilfe ist ein sehr komplexer Bereich, bei dem es in erster Linie um pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geht. Diese ist hochkomplex und sehr verantwortungsvoll. Selbst scheinbar so einfache Tätigkeiten wie die Arbeit mit kleinen Kindern in der Kita und die scheinbar unstrukturierte Arbeit in der Jugendarbeit sind hochkomplexe pädagogische Arbeitsfelder. Das erschließt sich Außenstehenden aber nicht immer. Besonders herausfordernd ist sicherlich die Arbeit mit Familien und Kindern aus schwierigen Familien.

Um diese Arbeit qualifiziert leisten zu können, schreibt das SGB VIII vor, dass in der Kinder- und Jugendhilfe nur Personen beschäftigt werden können, die sich von der Ausbildung und der Persönlichkeit her eignen. In der Alltagspraxis sind es in erster Linie sozialpädagogische Fachkräfte (davon ca. 70 % Frauen!). Eigentlich sollen auch die Leitungen der Jugendämter und der Landesjugendämter Fachkräfte sein (in der Medizin oder in der Justiz werden auch nur entsprechend ausgebildete Fachkräfte beschäftigt).

Jugendhilfeausschüsse (JHA)

Eine Besonderheit der Jugendhilfe ist der Jugendhilfeausschuss als Teil des Jugendamtes. Es gibt keine andere Verwaltungseinheit, die neben der Verwaltung auch einen Ausschuss hat, der mitreden und mitentscheiden darf und der Teil der Verwaltung ist. Verstehen lässt sich das am besten aus der Historie. Als 1923 das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz geschaffen wurde, sollten in den Jugendämtern nicht nur Verwaltungsbeamte in der Leitung sitzen. Man wollte ausdrücklich auch die Erfahrung von Menschen einbeziehen, die in der Jugendhilfe erfahren waren. Daher wurde die Leitung der Jugendämter als drei Fünfteln hauptamtlicher Verwaltungskräfte und zwei Fünfteln erfahrenen Frauen und Männern von außerhalb der Verwaltung besetzt. Als nach dem Dritten Reich die Jugendhilfe neu geordnet wurde, schuf man statt dieser Verwaltungsleitung die Kombination aus der Verwaltung und dem Jugendhilfeausschuss. Dieser setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern, die vom Rat oder dem Kreistag benannt werden und landesgesetzlich vorgesehenen Fachpersonen auch der freien Träger.

Ziel ist es, die Tätigkeit der Verwaltung mit Fachexpertise zu unterstützen und damit zu einer entsprechenden, auch pädagogisch ausgerichteten Arbeit der Jugendämter beizutragen. Diese Konstruktion wird immer wieder kritisch beäugt, ist aber von Anfang an eigentlich eine sehr moderne Verwaltungsorganisation gewesen. Hier wird nämlich der Fach- und Sachverstand von außerhalb der Verwaltung einbezogen.


Fazit

Die Kinder- und Jugendhilfe ist, wie gezeigt, ein sehr komplexes Gebilde. Insgesamt arbeiten mehr als 800.000 Menschen in diesem System und Jahr für Jahr werden 45 Mrd. Euro ausgegeben.



Autor: Dr. Dirk Härdrich



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