Externes Coaching für neue Mitarbeiter*innen im ASD – Ein Bericht. Eine Chance.
Externes Coaching für neue Mitarbeiter*innen im ASD – Ein Bericht. Eine Chance.
Von: Anne Rakel, Dipl. Päd., Fachdienstleitung Soziale Dienste, Amt für Jugend und Familie, Stadt Oldenburg
Schon wieder eine Vakanz, schon wieder ein Team unterbesetzt, schon wieder verlässt eine Fachkraft den Allgemeinen Sozialdienst. Die Gründe dafür sind zahlreich. Einige haben mit den Belastungen zu tun, einige mit familiären Veränderungen, andere aber möglicherweise auch mit der Leitungs- und Teamkultur oder der Einarbeitung in das Handlungsfeld. Was kann man tun? Zum Beispiel eine, die Einarbeitung intensiv begleitende Weiterbildungsreihe für alle Neuen im ASD auf den Weg bringen und zusätzlich ein externes Coaching als autarkes Lernfeld anbieten. Letzteres hat sich vor drei Jahren aus den Erfahrungen mit unserer Weiterbildungsreihe ergeben. Darüber möchte ich berichten.
Vorab: In den letzten Jahren ist es unübersehbar geworden: Das Problem mit dem Nachwuchs. In der Kinder- und Jugendhilfe gleicht dieses Problem mindestens den Auswirkungen des Klimawandels. Auch in der Ausweglosigkeit, es durch gemeinsame Bemühungen endlich in den Griff zu kriegen. Es ist nicht neu. Wir vor einem riesigen Berg. Dieser sagt uns einiges nicht nur über den Zustand der Kinder- und Jugendhilfe, sondern auch über die Kinder und Jugendlichen selbst, über die sie umgebenden gesellschaftlichen Bedingungen sowie über das Berufsfeld der Akteure. Fachkräfte müssen anders auf die Zielgruppe vorbereitet werden, da diese, aber auch die Ausbildung sich stark verändert haben, sonst verlassen sie das Feld bei bester sich bietenden Gelegenheit. Es hat sich alles spezialisiert und differenziert. Herkunftssysteme haben sich gewandelt, Globalisierung, Digitalisierung, Individualisierung sind keine neuen Schlagwörter. Sichere Bindungserfahrungen, gelingende Sozialisation bei zunehmenden Armutslagen – das hat es in sich. Personalentwicklung ist ein ICE. In Hochgeschwindigkeit müssen Probleme gelöst werden. Die hohe Fluktuation macht Teams und Führungskräfte mürbe. Nichts ist stabil, nur der Wechsel. Das geht eine Weile gut, bringt Schwung in die Bude, auch neue Sichtweisen, neuen Humor. Aber wenn der Wechsel die Dauer ist, geht die Lust flöten und die ewige Einarbeitung zerrt an den Kräften. Das Niveau sinkt. Klingt kontraproduktiv, wenn auf der anderen Seite die Anforderungen steigen. Es fehlt einfach inzwischen an allem. Es fehlen passende Einrichtungen, ausreichend freie Plätze, unkomplizierte, unbürokratische Lösungen an den Schnittstellen, stabile Teams, vielleicht auch spürbare Wirksamkeit und sichtbare Erfolge. Schon lange bestimmt vor allem der Markt, was möglich ist und was nicht. Wohin führt das?
Wir haben mit der berufsbegleitenden Weiterbildung für alle neuen Fachkräfte im ASD vor ca. neun Jahren begonnen und diese jährlich weiterentwickelt. Die Schwerpunktthemen sind gesetzt und finden jedes Jahr statt, weitere Themen kommen je nach Bedarf und Rückmeldung aus dem Feld hinzu. Die einzelnen Module sind verpflichtend und werden zertifiziert. Die Liste mit den Themen und Referent*innen ist im Intranet zu finden, alte Listen der Vorjahre werden abgespeichert und die Anmeldung läuft über das Verwaltungssekretariat. Die Bereichsleitungen der ASD-Teams sorgen dafür, dass Sinn, Inhalt und Termine mit Beginn der Tätigkeit kommuniziert werden. Früher begann ein Durchgang wegen der Berufsanerkennungspraktikant*innen stets am 01.10. eines Jahres; jetzt wegen der vielen unterjährig neu hinzukommenden Kolleg*innen eher zu Beginn eines Jahres. Da experimentieren wir noch.
Das Ganze ist nicht kostenintensiv. Die Referent*innen sind Kollegen und Kolleginnen des gleichen Fachdienstes, Experten anderer Ämter und externe Fachleute, die für ein Thema eingekauft werden. Alle Veranstaltungen finden im städtischen Raumangebot statt, so dass sich dafür keine Kosten ergeben. Beispiele aus der Praxis: Ein Kollege aus der Erziehungsberatungsstelle übernimmt seit je her die Module „Trennung und Scheidung und Auswirkungen auf die Erziehungsfähigkeit von Eltern-(teilen) sowie „Gespräche mit heikler Klientel“; eine Kollegin des Rechtsamtes führt eine zweitägige Veranstaltung zum Thema „Rechtliche Grundlagen in den HzE“ durch. Die fachdienstinterne Fachberatung bei stationärer Unterbringung gemäß § 34 SGB VIII informiert über die Arbeit der AG gem. § 78 SGB VIII, Qualitätsdialoge und Entgeltverhandlungen. Externe Referentinnen behandeln z.B. die Themen Sozialpädagogische Diagnostik, Einführung in den Familienrat, Hilfeplanung und verständliche Zielformulierungen, Methoden der Stressregulation und Burn-Out-Prophylaxe oder Umgang mit Häuslicher Gewalt auf Honorarbasis. Die Themen sind allesamt sehr praxisorientiert und in der Regel abgestimmt auf die Wünsche und Bedarfe. In diesem Jahr kommen weitere Themen hinzu (während zwei Themen wegfallen, da sie nicht gut bewertet wurden). Die neuen Module sind: „Wissen rund um Care-Leaver, neue Aufgaben und Wege“ sowie eine mehrtägige Veranstaltung zum Thema: Kinder psychisch kranker Eltern, die offen ist für alle Mitarbeitenden des ASD. Das erstgenannte der Module möchte eine ASD-Bereichsleitung gern übernehmen. Zudem öffnen wir die Module inzwischen für Interessierte anderer Fachdienste, wenn noch Plätze frei sind (ohne Teilnahmegebühren zu erheben) und organisieren Fachtage gemeinsam (in 2025 Fachtag zum Thema Schutzkonzepte sowie Queere Biographien in der Kinder-und Jugendhilfe). Wir experimentieren einfach weiter. So funktioniert das Ganze, ohne dass die Kosten explodieren. Als Beispiele zwei Curricula aus zwei verschiedenen Jahren:
Berufsbegleitende Weiterbildung für neue MA im ASD 2015
1 Rolle im ASD, Aufgaben und Haltungen
2 Sozialraumorientierung, der ASD im Stadtteil
3 Einrichtungslandschaft in den Stadtteilen, die Träger
4 Niedrigschwellige Angebote in Oldenburg, Frühe Hilfen, Prävention
5 Rechtliche Grundlagen I/II
6 Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung
7 Diagnostik
8 Hilfeplanung, Zielformulierung
9 Gesprächsführung
10 Selbst- und Stressregulation
11 Trennung/Scheidung – § 17 SGB VIII
12 Sexuelle Gewalt gegen junge Menschen.
Berufsbegleitende Weiterbildung für Neue MA im ASD 2023
1. Sozialpädagogische Diagnostik
2. Hochstrittigkeit und Erziehungsfähigkeit
3. Gespräche mit heikler Klientel
4. Entgeltverhandlungen, Leistungsbeschreibungen, QS
5. Rückführung – Planung und Inhalte
6. Methoden der Gesprächsführung bei Eltern im Konflikt
7. Einführung in den Familienrat
8. Sex. Gewalt gegen Kinder, Theorie und Praxis
9. Kinderschutz, Verfahren gem. § 8a SGB VIII
10. Achtsamkeitstraining
11. Coachinggruppe (6-8 x).
12. Rechtliche Grundlagen 1 und 2.
Das sind sozusagen die Rahmenbedingungen, unter denen sich das, worüber ich eigentlich berichten möchte, abspielt. In diesem Setting ist das Coaching für die Neuen zu verorten. Seit drei Jahren dürfen alle Neuen im ASD an einer Coaching-Gruppe mit externem Coach teilnehmen. Anfangs war die Skepsis groß. Es gab Vorbehalte. Es lief durchaus zögerlich an, auch die Bereichsleitungen waren unterschiedlich fein damit. Dieses Angebot beruhte von Anfang an auf Freiwilligkeit – das ist wichtig. Die einen waren sofort begeistert dabei, andere zögerlicher, manch einer kam erst sehr viel später zur Gruppe hinzu. Inzwischen sind die Plätze sehr begehrt, die Rückmeldungen an den Coach sind großartig und bestätigen meine Einschätzung von der Sinnhaftig- und Notwendigkeit dieses Angebotes. Manche verlängern ihre Teilnahme hochmotiviert, andere kommen einfach unterjährig neu hinzu (beides möglich, weil die Coach es anbietet). Was verbirgt sich nun dahinter?
Die Teilnehmer*innen treffen sich im Laufe ihres ersten Jahres bzw. direkt nach Beginn der Arbeitsaufnahme im ASD sechs-achtmal zu je zweistündigen Sitzungen und besprechen ihre Fragen, Probleme, Gedanken und Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag. In dem bewusst als „leitungsfreie Zone“ definierten Schutzraum haben sie die Möglichkeit, angstfrei zu agieren, ohne die jeweilige Leitung oder Teamkolleg*innen zu brüskieren. Oder Sorge darum zu haben. Gerade, weil der Coach von außen kommt und sie eine eigene Gruppe bilden, können Traditionen, ungeschriebene Gesetze, Animositäten und Reflexionen freier bearbeitet werden, in dem guten Gefühl, im selben Boot zu sitzen wie die anderen. Das scheint immer wieder der maßgebliche Punkt für die Attraktivität der Gruppe zu sein: Zu erleben, dass es den anderen genauso oder ähnlich geht oder davon zu profitieren, dass niemand Teil einer Vorgeschichte ist. Das ist anders als eine Team-Supervision.
Jedes Team hat seine eigene Geschichte und Entwicklung; jedes Team hat durch die Zusammensetzung der Mitarbeiter*innen sein besonderes Gesicht. In den Kollegialen Beratungen geht es um Fallvorstellungen, Hypothesenbildungen, um Wirklichkeitsdeutung und Konstruktion von Bedarfen sowie von möglichen und geeigneten Hilfen auf der Grundlage des achten Sozialgesetzbuches. Es geht um Beratungen, die das Ergebnis dieser Beratung möglichst als konstruierenden Prozess der Beratenden begreifen und die in der Lage sind, ihr Interesse und Handeln selbst-reflexiv zu überprüfen. Nichts ist, wie es scheint; soziale Wirklichkeit liegt nicht vor, sondern wird hergestellt. Je freier und selbst-bewusster eine Fachkraft hier zu agieren und zu reflektieren in der Lage ist, desto passender das Ergebnis. In jedem Team herrschen die gruppendynamischen Gesetzmäßigkeiten, für die Neulinge ein besonderes Gespür haben. Auch die Beziehungen zwischen Team und Leitung sind je nach dem eher von Spannung und Unbehagen oder Schwung und Vertrauen geprägt. Das schwankt. Oft bleiben Krisen und Konflikte, die Verteilung von Rollen und deren Funktion im Team unthematisiert. Das ist schade, da sich hier tolle Schätze zum gegenseitigen Verstehen bergen ließen. Jedes Thema hat neben der fachlichen Komponente eine persönliche, biographische. Gerade im ASD kommt es zudem sehr darauf an, wie getragen eine Kollegin sich von Kolleg*innen und Leitung weiß und wie sie umgehen gelernt hat mit eigenen Grenzen, Gedanken und Gefühlen. Besonders solchen wie Allmacht und Ohnmacht, einhergehender Angst, Wut oder Trauer. Viele Neue lernen sehr schnell, wie ihr Team funktioniert und welche Fallgruben es gibt; sie verstehen fix, auf was es ankommt, wenn man unterstützt und angesehen werden will. Nicht immer sind diese Teamtraditionen bewusst und nicht immer sind sie hilfreich. Ein externer Coach kann hier sehen helfen, verstehen ermöglichen und Abgrenzung üben. So entsteht Neues durch die Neuen. In allen Teams, in denen eine gesunde Willkommenskultur herrscht, ein wohlwollendes Miteinander und eine offene Kultur stärkt das Coaching diese und hilft, es auf gute Weise zu tradieren. Gerade durch Unterschiede wird gelernt, Unterschiede zu erkennen.
Auch zur Vertiefung des Arbeitsalltags und der Professionalisierung einer eigenen Arbeitsweise dient das Coaching; in der Gruppe werden Themen nachbesprochen, einzelne Fälle aufbereitet, alle erdenklichen Fragen gestellt und Wissen vertieft. Die Einarbeitung bekommt ein je persönliches Gesicht, da sich Lernen hier als Kombination von Wissenszugewinn und Selbstentfaltung manifestiert. Die Neuen reflektieren ihr berufliches Handeln tiefer, freier und selbstbewusster als ohne dieses Coaching und können anhand dieser Lernerfahrung möglicherweise zukünftige Teamsupervisionen besser für sich nutzen.
Erkennbar ist: Hier geschieht Personalentwicklung vom feinsten. Es ergänzt die Einarbeitung durch die Bereichsleitungen und durch die Anleitung perfekt. Mit geschickter Wahl des Coaches, in unserem Fall eine erfahrene Fachfrau, die sämtliche Fallgruben des Handlungsfeldes kennt, ist es nach anfänglicher Skepsis ein voller Erfolg. Alle Neuen nehmen intensiv und gern an diesem Angebot teil, verlängern ihre Teilnahme, wenn sie das möchten, und werben aktiv bei den Kollegen dafür, sich einzubringen. In diesem Jahr haben erstmals die alten Hasen auch für sich ein externes Coaching für die erfahrenen Fachkräfte eingefordert – und werden es bekommen, zunächst drei Sitzungen in 2025. Die Gründe für die positive Wirkung haben die Fachkräfte der Coach etwa so zurückgemeldet:
„Hier traue ich mich viel mehr, zu sagen, was wirklich ist; es tut gut, zu sehen, dass es anderen genauso geht; keiner muss Angst vor was haben; ich muss nichts leisten oder so tun als ob, ich darf alles fragen und Fehler machen; hier kann ich auch mal kritisch sein, ohne Druck oder Angriff zu befürchten; ohne Leitung ist irgendwie einfacher zu reden, wir stärken uns gegenseitig; die Älteren wissen auch nicht immer alles; niemand ist perfekt; ich lerne viel schneller und besser…“
Es ist kein Allheilmittel, natürlich nicht. Aber es könnte ein Element von vielen für ein gutes on-boarding sein, das ermöglicht, im ASD zu bleiben bzw. dort erst einmal gut anzukommen. Unter den drastischen Entwicklungen von Belastungen in den Einzelfällen bringt das Coaching fachliche Souveränität, ein solides Reflexionsvermögen, eine professionelle Haltung zur Aufgabe und Klientel und das Erkennen von subjektiven Wissens-Lücken, die darauf hinweisen, wo weitere Fortbildungen angezeigt sind.
Im nächsten Jahr startet der vierte Durchgang. Dann schreiben Coach und ich einen gemeinsamen Artikel, auf den Sie sich vielleicht schon freuen. Haben Sie Fragen? Möchten Sie mehr wissen? Immer gern!
Autorin:
Anne Rakel
0441-235 3863
Anne.Rakel@stadt-oldenburg.de