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Fachtag Schutzkonzepte – Wenn die Pflicht zur Chance wird Wie kann ein „Papiertiger“ Kinder schützen und Fachkräften Handlungssicherheit geben?

  Bildrechte: LS

Schutzkonzepte in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind heute wichtiger denn je. Sie dienen nicht nur dem unmittelbaren Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gewalt, Missbrauch oder Vernachlässigung, sondern auch der Unterstützung und Orientierung von Fachkräften in ihrer täglichen Arbeit. Der Prozess der Schutzkonzepterstellung lädt Fachkräfte dazu ein, in einen fachlichen Austausch zu gehen, sich zu be- und hinterfragen und auf den Weg zu machen, reflexive Aushandlungsprozesse zu initiieren. Was Sie alle dabei verbindet, ist der Schutz der jungen Menschen, die Ihnen qua Ihrer beruflichen Rolle anvertraut sind.

Sie alle sind Wegbegleiter:innen für die Ihnen anvertrauten, jungen Menschen. Als eben jene Wegbegleiter:innen machen die Ihnen anvertrauten, jungen Menschen mitunter weichenstellende Erfahrungen mit Ihnen. Herausgefordert in ihren Herkunftsfamilien, sind Sie als Fachkräfte verlässliche und verbindliche Personen, die die jungen Menschen in dieser Form vielleicht noch gar nicht kannten.

Sie verbindet, dass Sie jungen Menschen einen sicheren Rahmen des Aufwachsens und der Entwicklung geben wollen. Schutzkonzepte können für diesen sicheren Rahmen ein wichtiger Baustein sein.

Die aktive Beteiligung der jungen Menschen bei der Entwicklung von Schutzkonzepten sollte als Wertschätzung ihrer Persönlichkeit verstanden werden, mit der das Bemühen verbunden ist, die jungen Menschen in ihren besonderen, individuellen Lebenslagen zu verstehen und ihnen die Möglichkeit der Selbstwirksamkeit zu bieten.

Da gibt es Menschen, denen bin ich wichtig;

  • die fragen, was ich brauche, um mich gut zu fühlen
  • die mich an Prozessen beteiligen
  • die mir Raum für meine Entwicklung geben
  • die mir zeigen, dass ich mich beschweren kann und dass mir nichts Schlimmes passiert, wenn ich das tue
  • durch die ich spüre, dass meine Stimme zählt und dass ich wichtig bin
  • die mich auch einmal aushalten, wenn mir selber alles zu viel wird.

Jedoch wird der Begriff „Schutzkonzept“ auch oft als bürokratische Pflicht wahrgenommen – als etwas, das auf dem Papier gut aussieht, aber im Alltag schwer greifbar ist. Viele von Ihnen haben sicherlich bereits die Erfahrung gemacht, dass gut gemeinte Vorgaben in der Praxis schnell zu einem sogenannten „Papiertiger“ werden können: machtlos und ohne Biss.

Was wir wissen ist: Schutzkonzepte, die im Alltag nicht gelebt werden, verfehlen ihren Zweck. Aber wenn sie ernsthaft implementiert, reflektiert und weiterentwickelt werden, bieten sie uns allen eine wertvolle Grundlage, auf der wir sichere und förderliche Umgebungen für Kinder und Jugendliche schaffen können.

Der 05.11.2024 im Freizeitheim Vahrenwald.

Ab 08.30 Uhr herrscht ein reges Treiben des Vorbereitungsteams des Fachtags in den angemieteten Räumlichkeiten. Emsig werden alle Materialien aufgebaut, der Technik Check-up läuft und mit fortschreitender Zeit steigt dann doch auch die Nervosität.

Berechtigter Weise kann nun bei Ihnen – liebe Leser und Leserinnen – die Frage aufkommen, wie das denn sein kann, wo Veranstaltungen doch eigentlich zum Standardrepertoire der Tätigkeit im Landesjugendamt gehören. Das stimmt.

Unser Kleinteam im Kinderschutz wurde aber erst im Sommer letzten Jahres neu installiert. Von Beginn an wollten wir – Frau Katharina Steinhorst, Frau Gabriela Giesche, Frau Nadine Pietzowski – mit Beteiligung von Praktiker:innen einen Fachtag entwickeln. Wir wissen nur allzu gut, dass manche Ideen, die am Schreibtisch gut gemeint sind, für die Praktiker:innen unter Ihnen nicht zwangsläufig gut gemacht sein müssen. So lag es für uns auf der Hand, dass wir Sie und das Feld befragen wollten, wie es denn nun um das Thema Schutzkonzepte bei Ihnen steht. Welche Fragen Sie umtreiben und auch vor welche Herausforderungen Sie das Thema stellt.

Im Rahmen unserer Recherche wurden uns viele Einblicke gewährt, die schnell zu der Idee geführt haben, dass wir Ihnen – liebe Fachkräfte – an diesem Tag nicht nur einen Input geben wollten, sondern auch Raum für Austausch und gemeinsames Arbeiten. Gedacht, getan.

Ab 09.15 Uhr kommen die ersten Teilnehmenden zum Veranstaltungsort. Bei Tee, Kaffee, Obst und Gebäck finden die ersten Gespräche statt. Ab 09.30 Uhr füllt sich das Freizeitheim Vahrenwald und wir merken, dass der Anklang am heutigen Tag sehr groß ist.

140 Teilnehmende werden im großen Saal im Anschluss Platz nehmen.

10.15 Uhr eröffnet Herr Prof. Dr. Christian Schrapper vom ISA e.V. in Münster den Fachtag mit seinem Vortrag „Rechte von jungen Menschen in Einrichtungen gewährleisten“. Im Publikum deutlich spürbar, regt dieser Input zum Nachdenken an. Neugierige Blicke als auch fragende Blicken sind zu erkennen. Und das ist auch gut so. Ein Fachtag zu solch einem vielschichtigen Thema lädt nahezu dazu ein, dass die Reaktionen auf Inhalte genauso mannigfaltig sind.

Im Anschluss an diesen Vortrag gibt die Einrichtungsberatung und -aufsicht des Landesjugendamts (Team 2JH3) Einblicke in die Qualitäts- und Prüfstandards mit der Fragestellung, welche Anforderungen an Schutzkonzepte gestellt werden?

Mit den ersten, gesetzten Impulsen – besonders sensibilisiert für die Fragestellung, „was eigentlich beim Kind ankommt?“ - beginnt nach der Mittagspause die Arbeitsphase in den Workshops.

Frau Wibke Behlau vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Niedersachsen e.V. bietet zu den Erfahrungen aus der Projektwerkstatt Beteiligung – Partizipationsstrukturen in den Hilfen zur Erziehung und in Pflegefamilien auf Landesebene einen Workshop an.

Der Workshop von Frau Cordula Wilberg – von der Lebenshilfe Seelze e.V. – legt den Fokus auf die Einbeziehung von Adressat:innen in die Gewaltprävention im Bereich der Eingliederungshilfe.

Frau Tina Weerda Wildeboer vom Leinerstift Großefehn e.V. geht in ihrem Workshop der spannenden Frage nach, „wie Mitarbeitende nachhaltig beteiligt und an Handlungssicherheit gewinnen können?“.

In einem weiteren Workshop werden Herr Jens-Olaf Amthor und Frau Nicole Blumreiter vom Kinder- und Jugendhaus Amthor in Hannover zum Spannungsfeld der Alltagssituationen: Zuwendung vs. Grenzverletzung von Frau Gabriela Giesche interviewt.

Ein weiterer, vom Kinderschutzteam ausgerichteter, Workshop geht dem Thema „Netzwerkaufbau regionaler Werkstätten in den stationären Einrichtungen“ nach. Dies mit dem Hintergrund, dass wir mit den Praktiker:innen zusammen bearbeiten wollen, ob ein Aufbau regionaler Werkstätten zu Themen und Fragestellungen rund um das Thema Schutzkonzepte Sinn macht; falls ja, in welcher Form und falls nein, mit welchen anderen Ideen und Impulsen.

Nach einer intensiven Arbeitsphase und anschließender Kaffeepause findet die Ergebnissicherung im großen Saal statt. Zu diesem Zeitpunkt sitzen die Referent:innen der Workshops bereits schon auf der Bühne, um danach in die Podiumsdiskussion einzusteigen.

Ab einem gewissen Punkt der Vorbereitung zu unserem Fachtag ist uns aufgefallen, dass auch wir an sich bei dem Fachtag eher über die jungen Menschen in den stationären Settings gesprochen hätten, als mit Ihnen. So ist die Idee entstanden, junge Menschen am Fachtag beteiligen zu wollen. Umso mehr freuen wir uns, dass sich Wiebke Rendschmidt und Falco Kelb, die im Kinder- und Jugendhaus Amthor gelebt haben, bereiterklärt haben, sich an der Podiumsdiskussion zu beteiligen.

Die Podiumsdiskussion beleuchtet verschiedene Ebenen der Schutzkonzepte (hier ausschnittsweise ein paar Fragestellungen):

  • Wie schaffen Sie es, dass Schutzkonzepte in Ihren Einrichtungen tatsächlich leben und gelebt werden?
  • Fachkräfte sind immer mehr mit großen Herausforderungen konfrontiert:
    • Wie können Schutzkonzepte beitragen, Mitarbeitende zu entlasten?
    • Inwiefern sehen Sie bei der Arbeit an Schutzkonzepten vielleicht sogar eine Chance, der Krise (Personalmangel, Personafluktuation) zu begegnen?

Angelehnt an die Trias „Schutz, Beteiligung, Beschwerde“ die Herr Prof. Dr. Schrapper in seinem Vortrag skizziert hat, wird dieser durch Fragen weiter nachgegangen.

    • Inwiefern kann die Gefahr bestehen, ein "zu viel an Schutz" durch Schutzkonzepte anzustreben? Darauf bezogen, dass die jungen Menschen Raum zur Entwicklung haben sollen.
    • Wie können junge Menschen bei Prozessen gut mitgenommen werden und was braucht es, um sie in ihren Bedürfnissen und Meinungen ernst zu nehmen?
  • Wie können Mitarbeitende gut begleitet werden, wenn Sie Sorge und Unsicherheit bei dem Thema "Beschwerdewege für die jungen Menschen" empfinden.

Besonders einprägsam ist der Moment, als Wiebke Rendschmidt und Falco Kelb sich mit ihren Worten an die Zuhörenden wenden. Ihren Gedanken und Impulsen folgt ein intensiver, herzlicher Applaus.

Das Ende der Podiumsdiskussion ist gezeichnet von warmen Blicken der beteiligten Personen und wohl auch ein bisschen Erleichterung, da dieses Format – in dieser Form – für den Großteil der Referent:innen eine Premiere darstellt.

Und so wie wir auch den Fachtag mit Wünschen beendet haben, möchten wir auch Ihnen diese Wünsche für Ihr Wirken mit auf den Weg geben:

Wir wünschen Ihnen, dass es bei all den großen und kleinen Herausforderungen auch einfach einmal leicht sein darf. In Momenten, in denen ein herzhaftes Lachen mit den jungen Menschen und Ihren Kolleg:innen möglich ist. In Augenblicken, in denen Sie milde schmunzelnd den Kopf schütteln, weil ein Ihnen anvertrauter junger Mensch vielleicht schelmisch grinsend ein erneutes Mal versucht hat, die ein oder andere Regel und Absprache charmant zu umgehen.

Wir wünschen Ihnen Gelassenheit. Wenn die einzige Konstante im Leben die Veränderung ist, können wir auch gleich zusammen versuchen, das Beste daraus zu machen.

Sie alle machen einen großen Unterschied für die jungen Menschen, mit denen Sie zusammenarbeiten. So wünschen wir Ihnen, dass Sie nicht müde werden, Ihre Stimmen zu nutzen, um Sprachrohr für die Bedürfnisse und Sorgen jener Menschen zu sein, für die Sie Wegbegleiter:innen sind.


Autor:innen:

Nadine Pietzowski

Nadine.pietzowski@ls.niedersachsen.de

0511 89701 - 305

Katharina Steinhorst

Katharia.steinhorst@ls.niedersachsen.de

0511 89701 - 320

Gabriela Giesche

Gabriela.giesche@ls.niedersachsen.de

0511 89701 - 304


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