Nochmals: Bestellung eines Mitvormunds für unbegleitete minderjährige Ausländer für asyl- und ausländerrechtliche Angelegenheiten
Mit Beschluss vom 2. Juni 2016 – 6 UF 121/16 – hat das OLG Frankfurt am Main entschieden, dass, sofern das zum Amtsvormund für einen unbegleitet eingereisten Minderjährigen bestellte Jugendamt nicht über ausreichende asyl- und ausländerrechtliche Kenntnisse verfügt, eine in diesem Bereich sachkundige Person als Mitvormund bestellt werden kann. Das Gericht positioniert sich ausdrücklich gegen die in der Ausgabe 1/2016 unseres Newsletters vorgestellte Entscheidung des OLG Nürnberg, auf die sich die Vorinstanz bei der Ablehnung der Bestellung eines Mitvormunds noch gestützt hatte. Bemerkenswerterweise stellen sich die Frankfurter Richter damit jedoch auch der vom OLG Nürnberg bemühten Argumentation des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahre 2013 entgegen, mit der die divergierende Rechtsprechung in dieser Frage (zu Lasten der Bestellung eines Mitvormunds) vorerst „auf Linie gebracht“ schien.
Konkret legt das OLG Frankfurt/Main dar, dass ausgehend von den Vorgaben der Dublin-III-Verordnung dafür zu sorgen ist, dass ein unbegleiteter Minderjähriger von einem Vertreter, der über eine entsprechende Qualifikation und Rechtskenntnisse verfügt, vertreten wird, „um zu gewährleisten, dass dem Wohl des Minderjährigen während der nach dieser Verordnung durchgeführten Verfahren Rechnung getragen wird“. Dabei bestehe entgegen der Auffassung des BGH kein allgemeiner Rechtssatz dergestalt, dass die nach neuem europäischen Recht vorgesehene sachkundige Vertretung eines unbegleiteten Jugendlichen „grundsätzlich durch das Jugendamt als Vormund gewährleistet“ ist. Die an dieser Stelle notwendige Feststellung einer tatsächlichen Eignung des Jugendamts kann nach Ansicht des OLG gerade nicht durch die bloße Forderung ersetzt werden, das Jugendamt habe dies zu beherrschen oder Hilfen in Anspruch zu nehmen – in diesem Sinne haben aber noch der BGH und das OLG Nürnberg argumentiert.
Das OLG Frankfurt/Main weist darüber hinaus darauf hin, dass die Vorschrift des § 1775 BGB, welche die Bestellung mehrerer Vormünder vom Vorliegen „besondere Gründe“ abhängig macht, nicht entgegensteht. Das hierdurch begründete Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten der Bestellung lediglich eines Einzelvormundes ist nach Auffassung des OLG in Fällen wie dem vorliegenden nicht angetastet. Denn auch wenn gesellschaftlich bedingt statistisch steigende Fallzahlen wegen vermehrter Asylbewerber zu einer häufigeren Anordnung von Mitvormundschaften führen, so ändere dies nichts daran, dass man es in rechtlicher Hinsicht weiterhin mit einer Ausnahmefallkonstellation zu tun habe.
Kritisch sehen die Frankfurter Richter weiterhin die Argumentation, welche die Bestellung einer weiteren Person als Vormund allein von der Frage abhängig macht, ob eine Verhinderung des Amtsvormunds vorliegt – und dies verneint, weil sich der Amtsvormund die benötigten Kenntnisse bei Dritten beschaffen könne. Maßgeblich ist nach Ansicht des OLG Frankfurt/Main vielmehr, ob der Amtsvormund für die ihm übertragenen Aufgaben geeignet sei. Dies sei in jedem Einzelfall zu überprüfen. Wenn das als Amtsvormund bestellte Jugendamt über keine ausreichenden asyl- und ausländerrechtlichen Kenntnisse verfügt, um die für den Mündel anstehenden ausländerrechtlichen Fragen zu beantworten, bleibt es für diese Eignungsprüfung angezeigt, dass eine hierfür sachkundige Person als Mitvormund bestellt wird.
Das OLG kommt zu dem Schluss, dass, „solange die Jugendämter (…) nach eigener Einschätzung die o. g. Anforderungen insoweit nicht zu erfüllen vermögen, (…) nach geltendem Recht (u. a. §§ 1775, 1779 Abs. 2 BGB) dem Amtsvormund von vornherein eine geeignete, mit Fachkenntnissen auf dem Gebiet des Asyl- und Ausländerrechts ausgestattete Person von Amts wegen als Mitvormund zur Seite gestellt werden [muss]. Zwar ist dem BGH (…) zuzustimmen, dass dieser Vertreter nicht zwingend Rechtsanwalt sein müsste; allerdings ist dem Senat aktuell keine geeignete Person bekannt, die die erforderlichen Rechtskenntnisse auf dem Gebiet des Ausländer- und Asylrechts mitbringt und nicht Rechtsanwalt mit besonderem Schwerpunkt auf diesem Rechtsgebiet ist.“
Der zu begrüßende Beschluss des OLG Frankfurt/Main ist in seiner Entscheidungswirkung räumlich beschränkt. Es hängt vom Zufall des jeweiligen Aufenthalts ab, ob ein unbegleiteter Minderjähriger und dessen Amtsvormund auf die Bestellung eines in ausländerrechtlichen Fragen versierten Mitvormunds spekulieren dürfen. Als gegebenenfalls erforderliche Argumentationshilfe gegenüber den hiesigen Familiengerichten dürfte der Entscheidung aber auch in Niedersachsen durchaus Bedeutung zukommen.
Die Entscheidung mit Gründen finden Sie hier:
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_lareda.html#docid:7604616